„Wir wollen, müssen und werden sofort erfolgreich sein!“ (Matthias Sammer am 4.7.2012, ab jetzt Vorstand beim FC Bayern München – aber wie lange eigentlich? :-))
„Ich hab‘ mich irgendwann mal damit abgefunden, dass es im Fußball mehr Niederlagen als Siege gibt, auch wenn’s rein statistisch nicht möglich ist. Fußball tut eben meistens weh.“ Fußball-Training.org, am 6.7.2012 auf der Facebook-Seite von „Hauptsache Fussball“.
„Ich bin stolz, ein FC/DC-Arschloch zu sein.“ (verschiedene Spieler des FC/DC, München, immer, aber vor allem früher).
„We´re on a highway to hell“ (AC/DC, ab 1980 bis heute und darüber hinaus, also immer)
von Andreas Bach
Zwischen EM-Halbfinale und EM-Finale, also bereits in einer Deutschlandfreien Zeit, was den Spielbetrieb betraf, weilte ich nicht in Köln, sondern in meiner Geburtsstadt München. Zusammen mit alten Mannschaftskameraden feierte ich, 51, Bayern-Fan seit 1967, das 25jährige Jubiläum unseres Freizeitligavereins „FC/DC“. Natürlich war auch hier das Ausscheiden der EM-Elf ein wichtiges Thema, aber ansonsten war das Ganze eine wunderbare Veranstaltung mit Spiel gegen supernette Typen eines All-Star-Gegners aus befreundeten Münchner Freizeitkickerteams, einer coolen Party – alles mit echten Charakterköpfen. Und mir wurde mal wieder klar, auf was es hauptsächlich innerhalb einer Mannschaft ankommt.
Auf Feierlaune und Siegerlaune kommt es an im Team. Auf Können, Klugheit, Willen und Mannschaftsgeist. Aber vor allem auf Vertrauen in alle Spieler und auf Charakterstärke – auf ein intaktes, integres Innenleben bei möglichst 99,9 % aller Spieler. Sonst wird das nix mit dem Feiern und dem Rückblick auf tolle erste – und natürlich auch sehr gute zweite und dritte Plätze. Von Matthias Sammers’ Wechsel von einer führenden Position beim DFB hin zu einer vergleichbaren Stellung bei Bayern München wusste ich wie alle letztes Wochenende noch nichts.
Charakter, natürlich. Das hatten wir ja hier schon ein paar Mal besprochen. Ich möchte hier aber auch vertiefend auf einige andere Phänomene oder Eigenschaften eingehen, die uns Deutschen, auch deutschen Clubs auf internationalem Parkett, meistens erschwerend im Wege stehen, wenn wir final erfolgreich sein wollen. Charakter und absolute Ehrlichkeit zu sich selbst, gerade auch medial. Charakter, ein Wort, das auch sehr gut zu Matthias Sammer passt.
Doch da beginne ich erst mal ganz gerne ganz unten. Denn da beginnt Fußball, immer, bevor Du in der Mitte oder ganz oben stehst – wenn Du es denn schaffst, anders als ich, war ich auch viel zu schlecht. Aber, immerhin. Mit dem FC/DC habe ich vor rund 25 bis 20 Jahren einige für uns sehr wichtige Münchner Freizeitfußballpokale gewonnen, wie den „Baader-Cup“, den „Größenwahn-Cup“, wir waren Anfang der 90er Meister – in diesem Falle erster von 14 Teams – in einer so genannten, gar nicht mal so schwachen „Sendlinger Löwe-Liga“. Das heißt, wir, der FC/DC und ich, haben eigentlich alle unsere Ziele erreicht. Auch im größten Freizeit-Fußball-Pokal der Stadt München, dem „AZ-Pokal“, erreichten wir unter oft knapp 200 Teams meistens die Runde der letzten 32 Mannschaften, im Frühjahr 1989 einmal sogar das Achtelfinale, die Runde der besten 16. Wir verloren dort dann gegen den späteren Sieger 1:4. Italien hat gegen Spanien höher verloren. Ich selbst bin sehr, sehr zufrieden, damals wie heute. Teilweise bzw. zeitweise war ich bestimmt mal tage-, ja wochen-, ja monatelang um 1988/1989/90 und auch später noch nach gewissen Matches der glücklichste Mensch der Welt. Nach Partys, nach Siegen, nach Feiern, nach tollen Spielen.
Abseits von Talent, Wissen um Taktik und Mannschaftsgefüge, Technik, Kampfgeist etc. stellt sich jedoch die zentrale Frage: Warum hatte der FC/DC von 1987 bis 2011 zahlreiche sehr gute bis herausragende Platzierungen im Freizeitfußballbereich erreichen können, gegen teilweise sogar technisch besser besetzte Teams? (2011 hat der FC/DC den Spielbetrieb in der Freizeitliga – vorerst – nach 24 Jahren Kicken um Punkte bis auf weiteres leider eingestellt, leider.) Warum war er zudem auch sozial, menschlich so erfolgreich, warum kamen heute am 30. Juni 2012 über 25 Jahre nach seiner Gründung weit über 90 Prozent aller ehemaligen und aktuellen Spieler aus ganz Deutschland zu unserer Party? Damals wollten wir zusammen Spaß haben, guten Fußball spielen, etwas erleben. Punkt. Und, siehe da, es ergab sich, wir hatten viel Spaß. Damals noch etwas mehr als heute. Man wird älter, ja. Man genießt anders. Etwas anders. Aber wir waren als Team, damals wie heute (Gruß an die jungen Spieler! weitermachen!!) immer gut drauf – und zudem meistens gut organisiert – und wir sahen gut aus. Das Outfit, die Trikots, die Spieler, das von AC/DC inspirierte Logo. Sogar Angus Young war mal bei passender Gelegenheit ziemlich beeindruckt.
Und, klar, wir wollten immer unbedingt gewinnen, immer, auch gegen erkennbar stärkere Teams und haben genau dies deswegen auch manchmal unerwarteterweise geschafft. Die Stimmung war nie negativ. Auch nicht nach Niederlagen, denn wir haben fast immer alles gegeben. Ich kann mich an Vorwürfe, harte Diskussionen, richtig knalligen Streit, auch mal an grundlegend eher wertschätzend gemeinte Handgreiflichkeiten, aber an keine tiefen Verwerfungen erinnern. Raufereien – klar. Bösartige Tritte? Nie.
Wir haben folgerichtig immer gerade dann verloren (wie eben jenes besagte Achtelfinale im „AZ-Pokal“ – oder auch mal ein Finale in einem der vielen vom FC/DC mit initiierten Freizeitkickerturniere der damaligen Zeit) wenn der Gegner erkennbar übermächtig war an jedem Tag. Oder weil wir Zwist in der Mannschaft hatten, zum Beispiel zwischen zwei wichtigen Spielern, just in dieser Phase. Und da auch auf diesen etwas höher angesiedelten Freizeitkicker-Niveaus Kleinigkeiten in engen Spielen entscheiden, hat uns dann dieser Zwist genau die entscheidende Extraportion Energie, den Zusammenhalt und den notwendigen Kampfgeist gekostet. Wären wir eine Einheit gewesen, hätten wir auch kniffelige Spiel zumindest bis zum Ende offen halten können. Und dann, ein „lucky punch“…usw.
Trotzdem, auch Minikrisen dieser Art haben wir rasch überwunden. Wir haben uns immer wieder ausgesprochen und recht schnell zusammengerauft. Wir haben nach Niederlagen erkannt und auch dem Gegner gegenüber anerkannt, dass z.B. dies besagte Achtelfinale für den FC/DC ein großer Erfolg war und der Gegner das bessere Team stellte. Dass der Gegner in diesem Spiel halt einfach besser war. Wir schlossen daraus, dass wir einiges verbessern mussten, unsererseits. Vier Monate später gewannen wir im Herbst 1989 in einer denkwürdigen Partie vor weit über 300 Zuschauern den von uns selbst zwei Jahre vorher ins Leben gerufenen Baader-Pokal, 3-2 gegen Fortuna Falsche Freunde, ein absolutes Hammer-Spiel. Niemand, der damals auf dem Platz stand, wird dieses Spiel je vergessen. Wichtige Spieler kamen aus dem Urlaub früher zurück, verärgerten deshalb massiv ihre Lebensgefährtinnen – eben nicht umsonst, nicht egal. Es lohnte sich. Voll. Der Ärger ist inzwischen verflogen, niemand hat sich deswegen scheiden lassen – die positive Erinnerung daran aber wird immer bleiben. Im Anschluss an dieses Spiel gab es – natürlich – eine legendäre Party, und ich schrieb meine Abschlussarbeit fürs Studium, um die 250 Seiten, in drei Wochen im wahrsten Sinne der Worte mit spielerischer Leichtigkeit herunter, Note Eins minus. Ja. Baader-Cup-Sieger mit dem FC/DC, Studium geschafft. Ich war auf einem ersten Gipfel. Ein nächster, wichtiger Lebensabschnitt, konnte beginnen.
In dem besagten Finale gegen die Falschen Freunde hatte ich trotz zweimaligem zwischenzeitlichen Rückstand nie das Gefühl, dass wir verlieren könnten. Das weißt du dann einfach. Du selbst, Dein Team ist einfach die „Mannschaft“ an diesem Tag! Einfach eins mit sich selbst. Wie Italien gegen uns. Wie Spanien gegen Italien. Wie Chelsea gegen Bayern. Wie Bayern gegen Real. Wie Dortmund gegen Bayern im Pokalfinale. Und so weiter. Jeder Profi wird dir dieses Gefühl bestätigen. Ja, dieses Spiel, dieser Finalsieg, es war ein echtes Ereignis, einer der ersten großen subkulturellen Freizeitfußball-Events in München, sozusagen. Eine Feier auf und neben dem Platz. Eine Wahnsinns-Party danach. Alle waren da. Auch mit dem Zweitplazierten, mit den Teams, die den dritten und vierten Platz belegt haben. Dem Fünften, dem sechstem…
Zurück ins Jetzt: Wo stehen wir, wir Deutschen nach zweiten, dritten, vierten Plätzen hierzulande, heute? Da haben wir nach dem Halbfinale-Aus eine hässliche Beinahe-schon-Hexenjagd auf Jogi Löw und sein Team erleben dürfen. Wohl auch, weil niemand anerkennen mag, dass die Italiener an diesem Tag einfach stärker waren. Und sie wären wahrscheinlich auch dann in Hälfte eins erst mal stärker gewesen, wenn statt Toni Kroos im Zentrum Marco Reus (oder Thomas Müller) auf dem rechten Flügel gespielt hätte. Oder Reus statt Poldi auf links und Müller statt Kroos auf rechts. Bzw. Kroos statt Schweini auf der Sechs. Oder Bender oder Gündogan statt Schweini auf der Sechs. Und Miro Klose von Anfang an, statt Mario Gomez. Und und und…
Zwischenbemerkung: Taktik kann vieles, aber ist nicht alles. Du kannst dich auch tot rotieren. Das Team bleibt auf der Strecke. Alles weitere überlassen wir hier an dieser Stelle sehr gerne dem ganz wunderbaren Taktik-Blog „Spielverlagerung“, der alles weiß und über fast fast fast alles fast immer das richtige schreibt. Wie auch die „Süddeutsche Zeitung“. Wie oft auch „11Freunde“.
Die Italiener sind gegen Spanien im Finale 4-0 untergegangen. Eine Katastrophe? Ach was! Niemand hat sie im Anschluss zerrissen, beleidigt, verletzt. Die italienische Öffentlichkeit blieb dennoch fair – und anerkannte die große Turnierleistung der Squadra Azzurra. Niemand hetzte – weder gegen Balotelli noch sonstwen. Niemand? Nicht ganz. Vorher, schon nach dem Halbfinale – aber „nur“ in einigen, nicht wenigen deutschen Internet-Foren und Blogs, da ging es „hoch her“, wurde übelst getreten – nicht nur gegen „Neger“, gegen Balotelli, auch und gerade gegen unsere „Multikultis“, gegen Özil, Khedira, auch Boateng. Gegen alles nicht- oder undeutsche, um es mal offen anzusprechen. Fuck off, Nationalisten.
Ja, auch das ist Öffentlichkeit. Undeutsche Umtriebe anprangern. Dass wir unsere Hymne nicht mitsingen. Was für ein Scheiß! Die Spanier haben gar keinen Text. Die singen nie mit. Und überhaupt: Spanien, was ist das? Der König? Asturien? Andalusien? Katalonien? Barcelona, Bilbao, Sevilla oder Madrid? Die meisten werden euch dort was husten, wenn ihr denen mit Spanien kommt. Da ist 50% Jugendarbeitslosigkeit! Die haben echte Krise!!! Aber nicht so am Sonntag, da standen alles und alle gleichberechtigt nebeneinander, in nicht allzu lautem, aber vernehmlichen Glück. Die spanischen Spieler rannten nach dem Sieg gegen Italien teilweise mit Fahnen ihrer Herkunftsregionen über den Platz. Viele Fans waren damit auf den Tribünen zu sehen. Vielfalt, Leute! Galizien! Baskenland! Und, war das schlimm, nachteilig, negativ, hat es Reibereien auf dem Platz gegeben zwischen Real- und Barca-Spielern, hat irgendetwas in dieser Art den Sieg gekostet? Tricampeones, Mann!
Man kann sich ausmalen, was geschehen wäre, wenn „wir“ Italien in einer „denkwürdigen Schlacht“ nach einer überragenden Leistung doch noch geschlagen hätten. Unsere Panzer. Unmenschlichen Druck mit Hammer-Kampfgeist zermalmt! Mir schaudert´s. Und wenn anstatt Italien „wir“, Deutschland, ins Finale eingezogen wäre, glücklich, aber eben auch wie die Italiener total erschöpft (die hatten ja auch noch 120 Minuten England auf dem Buckel), aber vor dem Spanien-Spiel mit nur zwei Tagen Regenrationszeit. Und dann, folgerichtig wäre die Elf kaputt gewesen, wenn „wir“ 0-4, 0-5, 0-6… gegen die Spanier untergegangen wären…hierzulande wäre die Hölle los gewesen. Mindestens so wie nach dem Halbfinale. Nur die wenigsten hätten den Spaniern zu einer überragenden Leistung gratuliert. So wie es die Italiener taten. Tenor dort: Nach diesem Spiel kannst du so einem Gegner doch nur gratulieren. Das ist fair. Und nachvollziehbar. Und: Auf diesem Turnier kann Italien aufbauen. Gerade nach den Skandalen der Serie A ist es nun das Nationalteam, das dem Land in schwierigster Zeit (–> Spanien!) den Stolz und den Glauben zurückgibt.
Jogi Löw mag sich in Halbzeit eins vercoacht haben. Geschenkt. Vergesst es. Spielverlagerung.de hat das wesentliche in seiner Analyse dazu gesagt, wie auch zum Finale. Cesare Prandelli hat jedenfalls keinen Vorwurf des vercoachens erfahren, nachdem sein Team analog zu unserem Spiel zum Ende der ersten Hälfte ebenfalls mit 0-2 hinten lag, er nach dem Ausfall Mottas bereits Mitte der zweiten Hälfte nicht mehr wechseln konnte, weil er zu schnell zu viel gewechselt hatte (hatte er das wirklich?) und das Spiel zu zehnt beenden musste. Soviel hierzu.
Nein, Prandelli, der im ersten Moment sogar nach der EM aufhören wollte, hat sich jetzt sogar entschlossen, weiter zu machen. Warum? Prandelli sieht: Charakter. Siegertypen. Siegeswille, sogar nach dem 0-2 noch. Vor allem echte Typen, Menschen, auch in der Niederlage. Gut ausgebildete Spieler, die auf dem Platz das Herz in die Hand nehmen können – und den Verstand dabei nicht ausschalten. Er sieht vor allem auch eine Öffentlichkeit, die ihm nach all dem Einsatz, der gegebenen Leidenschaft, grundsätzlich eher gewogen ist, als ihn zu verdammen, als alles schlecht zu reden, was nicht schlecht war.
Nochmal zu meinen Freizeitkickern. Zu den Unterschieden zu Profis, bzw. den mittleren bis höchsten Amateurklassen bis rauf zur dritten, zweiten, ersten Bundesliga.
Erfolgszwänge – ein massiver Unterschied zwischen Profi und Amateur. Und, Riesenunterschied grade für Einwohner von Neidland BRD – das Geld natürlich. Es geht um ansehnliche Beträge schon in Regionalligen, in Liga 3 bis hin zu unvorstellbaren Summen ganz oben, es herrscht ständig „högschde“ Konkurrenz. Wer vorne steht, will unbedingt vorne bleiben, um weiter optimalen Erfolg genießen zu können und so natürlich mit am besten zu verdienen. Dies sind beispielsweise die Hauptgründe für eine Schlagzeile wie „Matthias Sammer als Sportvorstand zu Bayern München“. Ob Du den jetzt sympathisch findest oder nicht – der könnte passen.
Anders in einer Freizeitmannschaft. Da holst du keinen, den nur höchstens ein Drittel mag – wenn überhaupt. Das funktioniert nicht. Aber bei Profis, da muss Leistungswille und -Abruf auch unter größtem Druck funktionieren. Von dort, dem größten Druck, gespeist aus der ständig präsenten Gefahr des Versagens, ist es halt allerdings nicht mehr sehr weit bis zur Angst. Zur Großen Angst. Riesen-Angst? Geht das denn wirklich: Mit dieser German Angst – angeblich vor dem Versagen schützend, imprägnierend – zum Erfolg? Welches Erziehungsmodell, welcher Leistungsgedanke ist das denn? Ist das so, z.B. auch beim FC Bayern? Kahn = Druck. Druck und Angst bringen maximalen Erfolg?
Wohl eher nicht. Dem stehen inzwischen, wohl nicht nur die Pfosten, die Nerven oder die gegnerischen Torhüter in einem Elfmeterschießen im Weg. Angst im Falle von Nichterfolg spielt bei Bayern – forever number one, o mann… – vielleicht immer noch eine große Rolle, beim BVB denke ich dann doch immer noch entscheidend weniger. Dortmund beispielsweise wirkt in allem gelöster.
Ja, Borussia Dortmund. Der Meister. Der Doublist. Ist dieses Team das spanischste Team der Liga (außer Real Madrid)? Auch Barcelona wirkt nicht angstvergiftet, auch nicht nach Niederlagen, auch nicht die spanische, die italienische Nationalelf. Hier wird nicht nur von oben nach unten angeordnet, angesagt, sondern auch miteinander gesprochen, nicht nur nach Siegen, auch nach Niederlagen. Was für ein Bild, wie Prandelli nach dem Finale zu fast jedem einzelnen italienischen Spieler hinging und diese tröstete, mit ihnen sprach. Die Hierarchien funktionieren auch, oder gerade deshalb, weil sie nicht so hart, so ehern, so autoritär festgemeisselt sind, sondern sich aus der natürlichen, im Training, im Spiel, auch neben dem Platz erlebten Leistungskompetenz speisen, die auch eine soziale Komponente beinhalten – müssen. Hier gilt der Spieler auch als Mensch etwas – ja genau, wenigstens etwas. Erfährt sich nicht ausschließlich als durchzurotierendes Partikelchen.
Einwurf „Spielphilosophie und Taktik“: Ich glaube, je länger ich drüber nachdenke: Man kann, so oder so, rotieren. Man muss es wohl, auch mal heftig, in einer Liga mit 38 Spieltagen plus Pokal plus CL. Da ist das logisch, da muss man das machen, siehe Real oder Barca. In einem Sechs-Spiele-Turnier eher nicht. Da muss man sich eher…einspielen. Die Spanier haben dafür…sechs Spiele gebraucht (die Italiener nur fünf). Bis zum letzten Match haben sie geprobt – dann war es so weit. Bestleistung. Maximaler Teamgeist, maximale Effizienz, maximale Wirkung, Peak am Schluss. Alles richtig gemacht, Trainerstab. Medien.
Der nächste Punkt. Die deutsche Öffentlichkeit. Die wohl nichts so sehr liebt als verlorene Spiele zu Katastrophen auszurufen und umzudeuten, als nachvollziehbare Niederlagen als absolutes Desaster zu verkaufen. Und die ständig bestrafen möchte. Schuldige sucht. Schuldzuweisungen verteilt. Verantwortliche lieber früher hängt als später oder gar nicht. Der Lieblingshalbsatz aller so genannten Medien-„Experten“ in Deutschland geht so: „Wenn der öffentliche Druck zu groß wird, dann…“ Schwarze Erziehung? Man kann sich nur am Misserfolg freuen? Nur mit Katastrophen groß auftrumpfen? Das wäre tatsächlich mehr als arm.
Nein, möchte man schreien, Erfolg geht auch anders, siehe Spanien, Italien, auf besonnene Art, demütig und bescheiden, als Team, mit Trainern, die Diskussionen zulassen, die ihren Spielern vertrauen, die an Erfolge Ihres Teams glauben. Die, wenn es gut läuft von Spiel zu Spiel nur behutsam verändern, nicht zu viel wollen. Spieler sind letztendlich nicht ständig austauschbar. Vielleicht war das wirklich Löws „einzigschter“ Fehler: Einmal zu oft zu massiv durch rotiert. Egal. Fehler. Vielleicht. Verzeihung, Deutschland! Klar, Jogi, hast sonst einen Super-Job gemacht, geschenkt! Dieser Fehler wird ihm nicht mehr passieren. Ach, Fehler, ach, Glück. Wie eng war es eigentlich für Spanien im Portugal – Spiel? Elferschießen! Wie eng war es für Italien gegen England? Elferschießen! Für Chelsea gegen Bayern…für Bayern gegen Real… In der posthumen „Analyse“ sehen viele Analysten stets viele Fehler. Aber vorab?
Fußball ist zu komplex, und vorab auch nur alle wichtigsten Fehlerquellen wirksam komplett eliminieren zu können. Genau das kann auch heute noch, 2012, eine der wichtigsten Lehren aus der vorangegangenen Bundesliga- und CL-Saison und diesem EM-Turnier sein. Diese Komplexität zwingt zu Veränderungen in Entscheidungsprozessen, will man ihr wenigstens ein bisschen im Vorfeld beikommen, sie zähmen, verkleinern, alles vereinfachen, vor allem: richtige Entscheidungen auf komplexer Basis treffen. So wie sich die Kaderstärken der Mannschaften vergrößert haben, werden wichtige Entscheidungen, nicht nur aktuelle, auch Richtungsentscheidungen, aber auch vor allem taktile aktuelle Entscheidungen vor einem extrem wichtigen Match zukünftig tendenziell eher von Trainer-Teams, Stäben gefällt werden müssen – als einsam von einem einzigen Startrainer. Daten sind ja bereits en Masse verfügbar, für die eigenen Leute und die jeweiligen Gegner – jetzt müssen sie nur noch richtig ausgewertet werden. Es nützt nichts, wenn du „alle“ Informationen hast, wenn du nicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen kannst.
Und: es braucht auch die Spieler, die dann, entstehen mitten im Spiel kurzfristig gegnerbedingt unerwartet schwierige Situationen oder Aufgabestellungen oder Rückstände, selbstständig und intelligent möglichst sofort darauf reagieren und sich nicht wie eine „Kreisligamannschaft“ (Trainer Baade) auch noch das tödliche das 0-2 gegen Italien einfangen. Wo waren die Führungsspieler, unsere klugen Jungs, die aus dem 0-1 die richtigen Schlüsse gezogen hätten? Weggetaucht? Hatten die etwa…Angst? Zumindest war jede Leichtigkeit , die z.B. die Spanier im Finale auszeichnete, vollkommen weg.
Aber, nun gut, stimmt auch, Angst hin oder her, Fußball ist auch ganz einfach, kann es zumindest sein, und man kann „lediglich“ mit Charakterstärke, Teamgeist und Einsatzwillen – beim nötigen Können, Fachwissen und taktischer Schläue natürlich – auch unter ungünstigen Startvoraussetzungen sehr, sehr weit kommen. Siehe mein FC/DC. Auch Italien kam nach seinem aktuell noch lange nicht ausgestandenen, massivsten Serie A-Skandal seit…hm, ein, zwei Jahren (haha, genau!) um verschobene Spiele quasi aus dem Nichts, fast wie 2006, und startete dann langsam aber sicher voll durch. Niedrige Erwartungshaltung im eigenen Land, klar, alles was positiv nachgeliefert wurde, konnte so extrem auf der Habenseite verbucht werden. Was wiederum ein sehr positives Medien-Feedback erzeugte! Ach, Medien, ticken irgendwie auch wieder fast alle so einfach, so gleich. Ein Wort noch zu Frankreich: da redet schon wieder keiner mehr über Fußball oder die Nationalelf, bzw. die reden alle nicht mehr sehr konstruktiv untereinander. Sprich: Der alte Trainer ist weg – es lebe, vorerst, der neue Trainer.
Spanien fing ebenfalls verhalten an, steigerte sich erst ganz zu Schluss und war aber dann voll eines Titelträgers würdig. Hier reagierte die Teamführung unter dem bewunderungswürdig gelassenen Trainer Vicente del Bosque immer, in jeder Phase (was für ein Durchhaltevermögen, eine Standfestigkeit!) sehr verständnisvoll und vor allem immer, immer sachlich auf die Mittelstürmer-Diskussion um Torres und/oder/oder auch nicht Fabregas. Mit der Wirkung, dass die spanische Presse auch nie nur den leisesten Ansatzpunkt hatte, hier nach etwaigen gröberen Missstimmungen im Team zu graben. Weil es diese einfach nicht gab.
Deutschland: „Wir“ waren laut Teamleitung und Trainerstab ja schon nach Dänemark absolut „reif“ für den Titel. Wir könn(t)en ja jede Mannschaft besiegen, sagten da alle. Zur Not machen wir das eben dann von Anfang des Turniers an mit „Stahlhelm“ (Hansi Flick). Nun gut. Dementsprechend führte sich Joachim Löw am Spielfeldrand auch von Anfang an auf. Nämlich von super engagiert bis wutentbrannt. Ich sage: Nicht mein Stil, kann man aber so machen, von mir aus, war nicht wirklich der Grund für unser Ausscheiden. Immerhin: wir wurden mit neun Punkten, der Maximalausbeute, Gruppenerster. Aber es war schon in der Vorrunde, Stichwort Dänemark, oft knapper als gewünscht. Nur ein Elfer gegen uns, nach dem Foul Badstubers an Bendtner durchaus berechtigt und vorstellbar, und wird der verwandelt, sind wir nach der Vorrunde draußen, wenn wir nicht noch mal in der letzten Viertelstunde zurückkommen und ein Siegtor machen, dann zum 3-2. Eher unwahrscheinlich, oder?
Aus all diesen Beobachtungen und Fakten würde, fragte man mich, was keiner tut, aber egal, oder Arnd Zeigler, aber den fragen auch nur die wenigsten, aber natürlich mehr, gebe ich zu, ganz persönlich folgende Rückschlüsse ziehen:
1. KONTINUITÄT. Weitermachen wie bisher! Mit Joachim Löw und Hansi Flick – und Oliver Bierhoff. Aus Sicht des DFB leider nicht mit Matthias Sammer, der als großer, sehr sach- und äußerst fachkundiger Antreiber, als wenn notwendig kreativ-impulsiver „Querkopf“ und unbeugsamer, konzeptstarker Jugendförderer nun nicht mehr das unerschöpfliche Reservoir und BackUp unserer ersten Elf darstellt, sondern in fast all den genannten Bereichen ab sofort eine echte Verstärkung für Bayern München darstellt. Denn auch Heynckes hat sich vercoacht, auch dieses Team tauchte samt Heynckes und Nerlinger in der entscheidenden Phase des finalen Elferkrimis gegen Chelsea ab – so wie unser Team nach dem 0-1, 0-2 gegen Italien. Dennoch: Jogi Löw wird extrem viel aus diesem Turnier gezogen und gelernt haben. Alle Spieler vertrauen ihm nach wie vor. Deutschland hat das Spielerpotential, um wie sonst nur Spanien und Italien als – das wäre ein Meilenstein – erstes europäisches Team in Amerika die Weltmeisterschaft zu erringen. In Brasilien, der Höhle des Löwen! Der DFB wird Matthias Sammer bestimmt gut ersetzen. Unsere Jugendarbeit bleibt bestimmt Weltspitze. Aber, auch da kann man einiges falsch machen, bitte nicht „den Falschen holen“…der Abstieg, das geht ganz schnell…weiß man ja. A la: Nimmst du Favre und nicht Preetz, kriegst Du keinen auf den Deez!
1b) VERLIEREN. Alle müssen das schleunigst wirklich lernen, bzw. es muss unbedingt im Erziehungskanon noch offensiver eingefügt werden: a) wie verliere ich richtig? b) was lerne ich daraus? c) Was bedeutet das für mich, meine Spielweise, und meine Verhaltensweise im Team und nach außen?
2. MEGASTARKULT IS OVER. BURNOUT IS IT, IST LEIDER “ IN“. Daraus folgt auch: Dieser ganze Hyperrummel um glatt rasierte Beine und Pimmel, diese vollkommene Hybris um nette junge Männer, die gut kicken können, die muss wenigstens etwas runtergefahren werden. Die Spieler werden viel zu perfekt abgeschirmt. Feiern dauert ewig, verloren hat man nie wirklich. Denn mit 340 000, 2,7 oder 6,8 Millionen Euro netto im Jahr kannst Du nicht mehr wirklich tief und nachhaltig verlieren! Pah, das eine Spiel, ist doch schnell vergessen. Immer noch vorne schauen, immer weiter. Immer weiter verdienen. Ja, diesen eigentlich offenen, lernwilligen, unbescholtenen, so immens begabten Menschen wird so mit der Zeit spätestens ab der U17 alles Menschliche aberzogen, abtrainiert, aufgeschwatzt. Konsumiere eine Karriere, das lernen sie. Fatal nicht nur für diejenigen, die vorab scheitern oder besonders tief fallen. Da brauchst du nichts mehr, da fällst du tief. Gruß an Martin Fenin, ex-Eintracht Frankfurt, nun Energie Cottbus, an Martin Amedick von Eintracht Frankfurt, an Robert Enke (R.I.P.), Markus Miller, Ralf Rangnick, Sebastian Deisler und und und…
3. PRÄVENTION FÜR DEN NICHTERFOLGSFALL. Gerade die jungen Spieler müssen präventiv viel besser darauf vorbereitet werden, dass es sehr lange dauern kann, bis man ganz an der Spitze steht. Und dass es eben nicht klappen muss. Dass man scheitern kann. Und zwar schlimm. Sportlich wie menschlich. Finanziell wie gesundheitlich. Und auch wenn Du „es schaffst“: Manchmal wartet man fünf, manchmal zehn Jahre. Stefan Effenberg, einer der härtesten gegen sich selbst, hatte 14 Jahre Profikarriere hinter sich, als er endlich den Champions League – Pokal 2001 in die Höhe stemmen durfte. Was für ein Kampf! Leidenschaft! Nie aufgeben! Aber er hat vorab auch viele negative Erfahrungen gemacht, machen dürfen, aus ihnen lernen dürfen, hat sie wohl eher positiv verarbeitet – und hat durchgehalten. Man sieht: Nicht alles im Leben geht immer so schnell wie bei Borussia Dortmund. Wo Lars Ricken 1997 den CL-Pokal mit fast 21 Jahren bereits etwas sehr zu früh geholt hat – und was kam danach? Jetzt, vor zwei, drei Jahren, hat er wieder eine sehr gute Position als Jugendkoordinator gefunden, hat sich gut hineingefunden. Aber das hat gedauert, bis der Spaß und die Leidenschaft zurück kamen. Geduld haben.
4. GEDULD UND TÜCHTIGKEIT. Überhaupt, der BVB. Sehr rasch hat man da aus Fehlern gelernt, das ist nicht selbstverständlich. Und man hat das Glück des Tüchtigen gehabt. Alles hat fast perfekt funktioniert wie nach Plan A auf dem berühmten Reißbrett. Jürgen Klopp und die Vereinsführung haben schon im dritten Amtsjahr des Trainers die ganz großen nationalen Erfolge geschafft. Und zwar ohne dass dieses Mal die Gefahr besteht, wie nach 1996/1997 wieder ins Nirwana der Bundesligatabelle abzustürzen, wo mittelloses Mittelmaß droht und keine Gipfel mehr in Aussicht sind, höchstens ganz üble Schuldenberge.Und von den Champions League-Pleiten in 2011 hat man sich nicht verrückt machen lassen – richtig.
5. BEISPIEL BARCELONA. Der FC Barcelona hat nach Cruyffs Weggang und dem Zerfall des Barca-Dreamteams um Stoitschkov nach dem historischen, für den Club allerersten Landesmeister-Cup-Sieg 1992 ab Mitte der 90er auch etwas länger gebraucht, um sich dann nach dem nicht so fruchtbaren Umwegen mit Trainern wie Louis van Gaal oder Frank Rijkaard nach dem Ende der dominanten Galacticos von Real so ab 2004/2006 dauerhaft in der Weltspitze der Fußballclubs zu etablieren – und zog so nach Spaniens Aus gegen den späteren 2006er WM-Finalisten Frankreich auch langsam aber sicher das Nationalteam mit nach oben. Mit den bekannten Spitzenplätzen ab 2008.
Aber hier lohnt, ich sage es nochmals, ein genauer Blick auf Barcelonas Lehrbetrieb, die Methodik, die Clubphilosophie, die hauseigene Jugendarbeit. Zwischeneinwurf: Mit dem um die 2000er Wende sehr starken Real Madrid und seinen internatioalen Stars um Zidane, Figo, Beckham und co kam eben noch keine Hochzeit des Nationalteams. Die kam erst mit der Renaissance von Barca – ohne internationale Stars. Es war eine Systemfrage: Und zwar nicht nur was das Spielsystem und das „Tiki-Taka“ betrifft, sondern vor allem was die psychische und menschliche Schulung und Ausbildung der Spieler betrifft. Womit wir wieder bei „Einstellung“ und „Charakter“ sind. Denn all diese Spieler, die jetzt alles gewonnen haben, im Club und der Nationalmannschaft, haben eins gelernt: Keiner, auch nicht der allergrößte, der allerbeste Spieler, kein Messi, Xavi, Iniesta, ist größer als das Team – oder kann Spiele ohne das Team gewinnen. Man sah auch deutlich bei dieser EM: Spanien lehnt sich im Spiel eher an das System Barcas an, nicht an das Reals.
6. NOCHMALS: VERLIEREN LERNEN HEISST SIEGEN LERNEN. WM 2006, Achtelfinale: Frankreich – Spanien 3-1. Peng. Du musst verlieren lernen, sonst wirst du nie gewinnen. Gewinnen und verlieren, das ist wie Bruder und Schwester, wie schwarz und weiß, es gehört zusammen, für immer. Echte Siegertypen wissen: man hat, nach vielen Niederlagen vorab, immer nur mit anderen Menschen zusammen Erfolg, oder kann mit ihnen zusammen Misserfolge oder Niederlagen abwenden. Die sicherlich auch kommen werden. Die unabwendbar sind. Mit denen man umgehen können MUSS. Ich erinnere an dieser Stelle nur an die Champions League-Halbfinals von Barcelona gegen Chelsea. Aber – diese Spieler können damit umgehen. Barca hat danach den spanischen Pokal gewonnen, Real die Meisterschaft – auch dieses Team musste ein bitteres Halbfinal-Aus gegen Bayern München in der CL erst mal verarbeiten. Sogar ein CR7 hat das irgendwie hingekriegt. Er hat gelernt: Er ist nicht der Allergrößte – und ohne Team wird er es auch nie sein. Es geht beim Fußball einfach nur manchmal bis selten um den Einzelnen, denn die Summe aller Spieler ist immer größer als die schiere Anzahl der Player. Frankreich schaltete damals Spanien und Brasilien aus, erreichte das Finale gegen Italien mit dem bekannten Zidane-Eklat und dem bekannten Ergebnis. Seitdem ging es bergab. Keine Mannschaft. Die WM in Südafrika war der absolute Tiefpunkt von völlig gaga gegangenen Einzelkämpfern. Charakter? Charaktere? Unsichtbar. Alles unter dem absoluten Nullpunkt.Jetzt? hm. mal kucken.
7. INTERNATIONALE PERSPEKTIVEN. Wenn Bayern München Real Madrid und/oder Manchester United ist, dann wird Borussia Dortmund der FC Barcelona und/oder Arsenal London mit einem kleineren Anteil Liverpool FC. Aber – der BVB ist es noch nicht ganz, er wird eben gerade erst zum deutschen Barcelona. Denn schon bald, eigentlich schon Jetzt muss er nämlich international beweisen, was dieser Club wirklich drauf hat. Davor hat der neue BVB scheinbar noch ein wenig Angst. Das ist auch gut so. Nur nichts überstürzen. Aber, wie Jürgen Klopp bestimmt schon für sich persönlich festgelegt hat. Man kann diese Angst, ohne gleich wieder total abzuheben, auch überwinden. Das kann dauern. Noch ein, zwei Jahre, vielleicht auch weniger. Ja, man darf etwas Angst haben, sollte es auch, die gute Seite der Angst beinhaltet auch etwas Produktives, schützt extrem gut vor Leichtsinn und Überforderung – und vor allem vor einem etwaigen extrem ungeilen Totalabsturz. Wie titelte die „SZ“ im frühen Frühjahr einen ihrer ausgezeichneten Artikel um Dortmunds Champions League-Ambitionen so treffend, auch in Richtung FC Bayern: „Warten auf Dortmund“. Dann, wenn wir beide Clubs zwei Jahre lang hintereinander mindestens im Viertelfinale, wenn nicht im Halbfinale oder Finale der Champions League sehen werden – erst dann werden wir Weltmeister. Und Europameister. Und wieder Weltmeister. Oder so. Uli Hoeneß, Jürgen Klopp, Joachim Watzke, Matthias Sammer, Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes und allen supertollen Spielern sei Dank. Dann haben wir einen Dualismus a la Real – Barca. Aber – kann man das, kann man diese beiden Länder, Clubs, Ligen tatsächlich vergleichen?
8. AUSBILDUNG. Physisch, fachlich und psychisch. Menschliche Ausbildung, Bereitschaft zu Demut, Akzeptanz von Schaffenspausen, andersrum auch dadurch wieder absoluter Einsatz fürs Team. Jederzeit Anerkennung von ebenbürtigen Mannschaftkameraden, die einen in weniger guten Phasen ersetzen können. Bereitschaft, sich persönlich zurückzunehmen. Bereitschaft, nicht nur in einer abgeschirmten Profi-Welt aseptisch vor sich hin zu spielen und nichts von der Welt „da draußen“ mitzukriegen. Bereitschaft, Niederlagen zu akzeptieren, wirklich anzuerkennen, und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Bereitschaft zum Lernen, Teamarbeit, kein Star-Kult, keine zu große Überhöhung und zu böses Nachtreten durch die Medien. Bereitschaft, zurückzustehen. Bereitschaft, sich selbst als Profi und als Mensch Erholung zu gönnen, Ruhepausen, seine eigenen Grenzen zu erkennen.
Sonst, wenn Du zu viel willst, brennst Du binnen weniger Monate völlig aus. Es kommen, zuerst noch zufällig, vielleicht, aber wohl schon ein guter Hinweis auf die angespannte, überspannte persönliche Befindlichkeit: Erste Verletzungen, Formschwäche, Überforderung des Körpers und des gesamten Menschen durch zu frühes Wiedereinsteigen in den Trainings- und Spielbetrieb, dadurch neue Verletzungen, weiter sinkendes Selbstbewusstsein, und so weiter, ein Teufelskreis. Bastian Schweinsteiger wird ein Lied davon singen können, Thomas Müller und andere zumindest eine Strophe davon.
9. BESCHEIDENEIT UND EIGENE GRENZEN. „Nobody knows you when you´re down and out“, wusste schon vor langer Zeit der große Van Morrison. Aber, es geht auch für viele ganz unerwartet immer wieder ein wenig rauf, manchmal zumindest. Auch ganz unten angekommene Spitzenspieler wie Fernando Torres sind, keine Selbstverständlichkeit, plötzlich 2012 wieder nach oben gekommen – und haben völlig unerwartet doch noch zwei Finalsiege eingefahren. Sie haben nie aufgegeben. Sie haben all die schlimme Häme der Medien und auch von so einigen „Fans“ klaglos ertragen. Sie haben all den eigentlich unhaltbaren, unmenschlichen Scheiß ausgehalten. Sie konnten das. Anders als z.B. Robert Enke. Sie haben, auch das ist wichtig, und wenn sie noch so lange draußen saßen, auch nie gegen das eigene Team gearbeitet. Weil sie wussten, dass sie irgendwann wieder eingesetzt werden. Dass sie Glückskinder sind. Ich wiederhole mich: 6,8 Millionen Netto-Jahresverdienst, in einem Team spielen dürfen wie Chelsea, Bayern, Milan, ManU, Barca, Dortmund – wow. Diese Spieler wissen, was sie an ihrem Beruf haben. Sie haben immer auf ihre Chance gewartet, in Bescheidenheit um die Stärken der anderen, und sie haben diese dann irgendwann genutzt. Nicht nur für sich, sondern auch für die anderen, die Teammitglieder – oder für dich, wenn du Spanien- und/oder Chelsea-Fan bist. Aber so wird es dir bestimmt auch irgendwann wieder gehen, wenn du Bayern-, BVB- oder Deutschland-Fan bist, und ein Hummels, Badstuber, Schweinsteiger, Lars/Sven Bender, Thomas Müller oder Marco Reus (oder…) den nächsten internationalen Titel holen. Und den holt einer dieser Spieler in den nächsten Jahren so sicher wie das Amen in der Kirche.
10. DEMUT UND PESSIMISMUS. In früheren Tagen hätte ich diesen Artikel so enden lassen, aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, ob „Wir“, mein/Dein Lieblingsspieler oder mein/Dein Verein so schnell den nächsten wichtigen Titel wird gewinnen können, und wie wichtig mir das zumindest noch ist. Dir? Ich stelle mir gerade vor, mein Länderteam hieße Österreich und mein Lieblingsspieler David Alaba spielte nicht beim FC Bayern, sondern z.B. beim 1.FC Nürnberg, VFB Stuttgart oder Schalke 04 – oder doch noch bei einem dauerdepressiven FC Bayern, der noch weiter die nächsten Jahre, immer weiter in eine echte tiefe Sinnkrise abrutscht, der die nächsten Jahre gar nichts mehr holt. WOW! Große Frage, also: Was bedeutet es eigentlich, nichts Bedeutendes mehr zu gewinnen, und was ist bedeutend? Wie sieht Deine Lebensplanung als Fan eigentlich aus? Wie schnell bist du bereit, im Falle des Misserfolges Spieler und Teams zum Teufel zu hauen? Z.B. als Fan des 1.FC Köln, der Hertha aus Berlin, von Schalke 04, von Kaiserslautern, Mannheim, 1860 München, Preußen Münster, Hansa Rostock, Stuttgarter Kickers, Darmstadt 98, Energie Cottbus, Arminia Bielefeld? Und so weiter.
11. ALLES GEHT WEITER, AUCH DEIN UND MEIN LEBEN, UND DAS LEBEN MUSS HALBWEGS ANSTÄNDIG WEITERGEHEN. Genau das ist der Punkt für mich. Was für mich zählt, ist der echte oder der innere Spiegel, in den ohne zu stark zu erröten hineinzuschauen mir doch weiterhin eins der wichtigsten Dinge des Lebens ist. Ich bleibe weiter Fan, Niederlagen nehmen mich, je älter ich werde, auch immer extremer mit, auch wenn ich sie dank meiner Erfahrungen immer besser einordnen und verarbeiten kann. Gottseidank. Mein Fazit aus der Saison 2011/12 und der EM kann deswegen nur lauten: Ich bleibe weiter Fan, mit Leib und Seele, sehr sehr gerne sogar. Ja, das tue ich, das bin ich, ich kann es fühlen, ich kann es noch fühlen, auch bei all dem Irrsinn , der inzwischen um König Fußball toben mag. Und Niederlagen sind viel, viel häufiger als Siege, und extrem schmerzhaft, wenn sie unerwartet kommen, ganz am Ende, wenn man eigentlich schon gewonnen hat. Bayern-Manchester 1-2, beide Gegentore in der Nachspielzeit. Barcelona 1999. Zum Beispiel. Wann steht man schon mal mit seinem Team ganz oben? Nicht so oft, oder? Ich bleibe weiter Fan, auch bei aller Hybris. Aber nicht um jeden Preis.
Denn der Preis ist, immer, hoch, und nur ich kenne meinen Preis. Aber da ist eine Grenze. Ich knn sie spüren. Wenn Jogi Löw jetzt gehen würde, ich könnte es nicht verstehen. Ich müßte es dennoch akzeptieren. Uah. Oder: Düsseldorf steigt auf, erstes Spiel Lokalderby gegen Gladbach – wahrscheinlich vor vom DFB in über die Maßen hartem Urteil komplett zwangsgeräumten Rängen. Hart an der Grenze. Wäre ich Fan der Fortuna, oder auch von MG, ooaah. Aua.
Ja. Wann bin ich, ICH, ich endgültig raus aus dem verblödenden Geschrei um dieses Milliarden-Spiel? Wann sind mir die Bayern endlich völlig egal (wie in der Pubertät)? Wann lasse ich wie mit 16, 17 eine EM oder WM oder sogar das Finale einer Bundesliga-Saison komplett volle Kanne sausen und fahre stattdessen mit meiner Frau im Mai oder Juni (die zwei schönsten Monate im Jahr) drei satte Wochen in den zweiten Honeymoon, oder besuche zu gleichen Zeit meine Kinder in Australien, Kalifornien oder sonstwo, keine Ahnung wo die sich infünf, acht Jahren rumtreiben?
Ja. All die Verletzten, all das Leid, die Toten, viele Tote, die 80er Jahre, Heysel, all die Katastrophen, ein von Deutschen tot getretener Polizist bei der Frankreich-WM 1998, all die politischen Verwerfungen in der Ukraine, die manipulierten Spiele in Italien, in Finnland, egal wo, überall, überall. Bestechung und Manipulation allerorten, Blatter und Platini, Fifa und UEFA, die Fische stinken vom Schädel her, der Erfolg macht korrupt, nicht alle, aber so einige, nicht ganz unwichtige Protagonisten, auch, gerade auch im Glamourgeschäft Fußball. Oder ist es inzwischen für dich und mich Grundvoraussetzung, käuflich zu sein,eigentlich gute, verbindliche Regeln zu umgehen, um überhaupt erfolgreich sein zu können?
All das Schlimme um den Fußball, ist das schon Alltag?
Dann mag ich nicht mehr. Wie lange macht ihr das noch mit? Wie hoch ist Dein Preis für dieses höllische Szenario, diesen Menschenzermalmungszirkus, diese emotionalen Achterbahngondeleien, dieses himmelhochjauchzende und zutodebetrübte Dabeisein bei all dem Scheiß?
Ich kann nur sagen: Ich habe meine Familie. Paar Freunde. Und natürlich den FC/DC . All das ziemlich sicher für immer.
Aber natürlich auch nur, wenn ich wirklich brav bin. Wirklich.
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