Nach dem 11. Spieltag der Saison 2012/2013 kann man in Bremen mit gemischten Gefühlen über den Saisonstart reden. Mit 15 Punkten und Platz Acht klingt vieles zunächst einmal recht positiv. Positiv? Ja, vollkommen. In der Hansestadt sollten sich auch die letzten mittlerweile von dem Denken distanziert haben, einen Kader zur Verfügung zu haben, der uns von Europa, geschweige denn der Champions League, träumen lässt. Ich halte es ja nicht für unmöglich, wenn ich meine grün-weiße Brille dann aber doch wieder absetze, auch nicht für sehr realistisch. Zumindest noch nicht in dieser Spielzeit. Gegen ein grün-weißes „Wunder“ hätte ich dennoch nichts einzuwenden.

Ohnehin befindet sich Werder derzeit auf einem Tabellenplatz ohne viel Aussagekraft. Bevor Werder am Sonntag gegen Hannover gewann, lag man auf Platz 14, was sich schon bedeutend schlechter angehört hätte. Die Tabelle gibt also derzeit noch reichlich wenig über die wahren Stärkeverhältnisse der Liga wieder – wenn man nicht gerade nach ganz oben oder ganz unten schaut. Dort herrschen klarere Verhältnisse! Nicht aber im Mittelfeld der Liga.

Und für Werder wurde am Wochenende ein ums andere Mal klar, dass Siege nur dann eingefahren werden, wenn die Mannschaft konsequent am Limit spielt. Selbst bei deutlicher Platzüberlegenheit wie gegen Hannover, ist der Ausgang einer Partie lange ungewiss. Zu oft reihen sich individuelle Fehler aneinander, die zu unnötigen Gegentoren führen, zu oft wirkt das Spiel statisch und ideenlos und zu niedrig ist die Qualität der Einzelspieler. Es gibt keinen Spieler im Kader, der ein Spiel drehen, entscheiden oder dem Spiel seinen berühmt berüchtigten Stempel aufdrücken kann. Vor gar nicht allzu langer Zeit bewegte sich offensiv ein gewisser Claudio Pizarro in des Gegners Strafräumen herum, der durch seine individuelle Klasse und viele Glanzmomente oftmals eine vermeintlich schlechte Mannschaftsleistung kaschieren konnte. Vor noch längerer Zeit wirbelten Strippenzieher wie Özil, Diego oder der unglaubliche Micoud im Bremer Mittelfeld und wurden von Spielern wie Frings, Baumann, Ernst etc. abgesichert… Das ist lange her, eine schöne Erinnerung, aber für die Gegenwart absolut bedeutungslos. Die Gegebenheiten an der Weser haben sich geändert. Wir backen wieder kleinere Brötchen am Osterdeich.

Nichts desto trotz möchte man auch das Positive aus dieser Phase hervorheben. Ich für meinen Teil bin mit einer sehr zwiespältigen Meinung in diese Saison gegangen. Sind Dutt und Eichin die Richtigen für Werder? Waren die Transfers gut? Wo wird Werder am Ende der Saison stehen? Ich muss zugeben, dass ich vor allem bei Robin Dutt sehr, sehr skeptisch war. Bis heute hat er mich allerdings eines Besseren belehrt. Aus dem vorhandenen Material holt er eine Menge heraus und er scheint wirklich akribisch an einer Verbesserung der Situation rund um Werder Bremen zu arbeiten, sodass es auch sportlich wirklich eine langfristige konstante auf der Trainerbank geben könnte. Vor allem sein Umgang mit den Eigengewächsen imponiert mir sehr und man hat tatsächlich die Hoffnung, dass bei den Amateuren und Jugendteams einige Talente schlummern, die das A-Team irgendwann qualitativ verstärken könnten.

Auch Eichins Arbeit sehe ich zum Großteil positiv. Natürlich kann er uns in Bremen keine teuren Startransfers präsentieren oder die Top-Talente an die Weser locken. Aber das ist nicht seine Schuld. Bezüglich der Top-Transfers fährt Werder derzeit einfach auf Sparflamme und würde diese niemals vom Vorstand abgesegnet bekommen und die Talente… ja, die haben derzeit sportlich einfach bessere Alternativen, als zu einem Verein zu wechseln, der sich gerade in einer Phase der Neuorientierung mit ungewissem Ausgang befindet… obwohl es auch Chancen bieten würde, sich früh zeigen zu können, da der Jugend unter Robin Dutt wieder ein höher Stellenwert beigemessen werden kann. Dass war allerdings im Vorfeld der Saison nicht abzusehen.

Die getätigten Transfers waren für Werder aber allesamt sinnvoll. Die Kaufoption für Petersen musste gezogen werden, auch wenn er spielerisch limitiert und manchmal holprig wirkt, wäre man unter Umständen ohne Stürmer in die Saison gestartet, der seine Bundesligatauglichkeit in Ansätzen unter Beweis gestellt hat. Caldirola ist ein Spieler, der in seiner Entwicklung ist, eine starke taktische Grundausbildung genossen hat und jetzt schon unser Abwehrchef ist. Natürlich aufgrund seiner geringen Erfahrung ein Risikotransfer, aber durch seine enormen Entwicklungsmöglichkeiten und den Stellenwert, den er jetzt schon inne hat, ein wichtiger Baustein für das neue Werder Bremen. Santiago Garcia war ebenfalls ein toller Schachzug. Offensiv weiß er jetzt schon mehr als jeder andere linke Verteidiger seit Jahren zu überzeugen und wenn er mit der Zeit auch ein wenig an seiner Rückwärtsbewegung arbeitet, könnte aus einer einstigen Problemposition tatsächlich eine Stärke im Bremer Spiel werden. Auch di Santo hat enorm viel Potential. Er hatte zwar einen äußerst unglücklichen Start, aber hier würde ich mich davor hüten, schon ein schlechtes Wort über diesen Spieler zu verlieren. Er hat andernorts schon seine Klasse angedeutet und jetzt liegt es an Dutt, ihn zu einem fähigen Bundesliga-Stürmer zu formen! Makiadi war eine solide Ergänzung für das Mittelfeld, der sich schnell integriert hat und im Mittelfeld festgesetzt hat. Ohne bisher zu glänzen ein wichtiger Spieler, der viele Bälle fordert und durch ein kampfbetontes Verhalten den Weg ins Spiel findet. Aber diese Arbeiter braucht Werder eben jetzt.

Es sind nicht die großen Namen von einst, es sind schon gar nicht die berauschenden Spiele, in denen Bremen seine Gegner phasenweise vorführte und ihnen ein halbes Dutzend Tore einschenkte, aber es sind andere Kleinigkeiten, die man als Zuschauer wieder wahrnimmt. Die gute Reaktion nach einem katastrophalen Spiel in Wolfsburg, das Bemühen das Spiel zu machen, die Wege, die Spieler nach hinten arbeiten, auch wenn sie manchmal umsonst scheinen und einfach auch mal ein stinknormales Tor! Ein Sieg darf gerne dreckig sein, gerne großen Aufwand voraussetzen oder was auch immer. Es ist zu jeder Zeit ein weiterer Entwicklungsschritt dieses Teams.

Und doch erwarte ich dieses Jahr immer wieder Rückschläge, dass Werder phasenweise zerfällt und mich zur Weißglut bringt. Ich werde fluchen und feiern, werde den Spielern ihre Klasse absprechen und sie dann wieder für ihre Entwicklung loben, werde den Verein hassen und lieben! Am Ende werden es hoffentlich viele kleine Schritte – Rückschritte eingerechnet – sein, die dafür sorgen, dass diese Saison trotz zahlreicher Höhen und Tiefen einen erfreulichen Ausklang findet und so der Grundstein für die kommenden Spielzeiten gelegt wird, in denen es hoffentlich wieder mehr Kampf um Europa als um die Klasse geben wird!

Giuseppe Cotrufo