Wenn das eigene Land bei einer WM ausscheidet, sollte man sich möglichst fern von jeglichen technischen Geräten halten, die zur Vervielfältigung geschriebener Worte dienen. Oft sind sie sehr unreflektiert und resultieren aus der Laune der puren Enttäuschung. Nichts desto trotz versuche ich meine Gedanken nach einer Nacht Schlaf etwas gefasster zu formulieren. Aus meiner eigenen Warnung werde ich übrigens auch für die Zukunft nichts lernen. Bin beim Fußballschauen eben zu emotional…
Achso, noch eins vorweg: Ich bin Italiener, lebe in Deutschland, präferiere das Heimatland meiner Eltern, lebe sehr gerne und sehr gut integriert in Deutschland und hege dementsprechend auch Sympathien für den DFB. Wieso auch nicht? Geht alles!
Was mich gestern in erster Linie auf die Palme gebracht hat: Das italienische Ausscheiden aus der WM, bei der ich nach wie vor der Meinung bin, dass es unter „vernünftigeren“ Entscheidungen des Schiedsrichters nicht verloren gegangen wäre – gewonnen aber wohl auch nicht. Bevor ich mich davon verabschiede, die Dinge zu benennen, die mich gestern so in Rage gebracht haben, zähle ich sie dennoch einmal auf. Muss halt sein. Für mein Wohlbefinden. Sei mir nach dem Vorrunden-Aus doch bitte gegönnt…
Eine überzogene rote Karte gegen Marchisio sowie die nicht gegebene rote Karte gegen Suarez nach seiner Beißattacke an Chiellini. Das alles geschah vor dem 0:1. Basta und Punkt. Was mich nachträglich aufregt: Die Leistung meiner Landsmänner, die nicht in der Lage waren, gegen Costa Rica und Uruguay Torgefahr zu entwickeln und dementsprechend auch verdientermaßen die Heimreise antreten werden. Dennoch darf ich ja wohl traurig und enttäuscht sein, oder etwa nicht? Nach wie vor denke ich, dass es Italien beim Erreichen der K.O.-Phase weit hätte bringen können. Behauptungen über Behauptungen, ich weiß. Jeder bewertet die Geschehnisse anders und da komme ich auch zum nächsten Punkt, der mich gestern nicht gerade milde gestimmt hat: Die Kommentare in den sozialen Netzwerken.
Ich meine, was rege ich mich eigentlich darüber auf? Kann mir doch egal sein, was ein paar Halbstarke etc. dort von sich geben, wenn sie nur auf Pöbeleien aus sind. Naja, so einfach ist das nicht. Ich mag ja den Fußball und dazu gehört es eben auch, zu bestimmten Kommentaren Stellung zu beziehen, wenn das eigene Team oder wie in einigen Fällen gleich alle Bürger eines Landes durch den Kakao gezogen werden. In der gestrigen Laune fiel es mir ehrlich gesagt sehr schwer, stets einen Hauch von Souveränität an den Tag, oder besagt den Abend, zu legen – gebe ich zu. Und dennoch musste ich immer mal wieder meinen Senf dazugeben. Es geht ja schließlich auch um die WM. Das Necken der Freunde oder eben das Einstecken. Einstecken kann ich übrigens auch, manchmal. Dieser gewisse Deutschland-Italien-Konflikt gehört eben dazu. Ich verweise dabei gerne auf die vier Sterne und die Duelle mit Deutschland. Meine deutschen Freunde vergessen nie zu betonen, wie unansehnlich der italienische Fußball ist und wie unverdient diese Titel doch waren. Das ist Fußball, das ist Fansein, das sind Emotionen. Und doch sollten Grenzen gezogen werden…
An dieser Stelle frage ich mich, woher vor allem dieser Hass resultiert, der so oft aus der Sicht einiger Deutscher auf die Italiener einprasselt – kann man oft nicht mal mehr reine Schadenfreude nennen. Ich meine dabei diese emotionalen Entgleisungen, die deutlich über eine sportliche Rivalität hinausgehen. Die harmlosesten Dinge sind dabei noch Verweise auf den strittigen Elfmeter im Jahr 2006 gegen Australien, das ständige Betonen, dass Italien ohnehin immer nur Glück (habe ich eher selten bemerkt) habe und der Verweis auf überaus „dreckige“ Spieler wie Chiellini oder 2006 Materazzi (es tat mir übrigens in der Seele weh, weil ich Zidane neben dem „echten“ Ronaldo und Ronaldinho für das Größte halte, was ich selbst im Fußball erlebt habe), die sicher keine Kinder von Traurigkeit sind. Nichts desto trotz sind Reaktionen, wie damals die von Zidane oder diesmal die von Suarez nicht die logische Konsequenz. Spiele, wie das gegen Uruguay oder eben das Achtelfinale 2002, nach dem Schiedsrichter Moreno plötzlich ein Leben in Saus und Braus führte, werden dabei gerne vergessen. Egal, darum geht es auch nicht.
Viel mehr geht es darum, dass plötzlich aus jedem Italiener eine wahlweise beschissene, abgefuckte oder „wählen Sie ihr Adjektiv selbst“ Spaghettifresse wird, der man ohnehin nichts gönnt, weil die Italiener von Grund auf scheiße sind – das ist einfach so. Dann gibt es die Reaktionen dieser „Spaghettifresser“, die ähnlich gehaltvoll das Pöbel-Angebot erwidern. Ich gehe wohlwollend davon aus, dass die meisten User beider Parteien ihre Wortwahl nur belustigend wählen und einfach schadenfroh sind, wenn eine große Nation ausscheidet. Ist ja auch irgendwie normal im Fußball. Aus den Worten einiger „ÜbersZielHinausSchießer“ entnimmt man allerdings mehr als die Freude aus dem Leid der Geläuterten. Gerne würde man diese „Spagallos“ am liebsten „alle lebendig begraben“, gerne soll sich „ dieses Pack in sein eigenes Land verziehen“, gerne sollen sie alle einfach nur „sterben für eine schmierfreie Welt“. Da sage ich doch: Danke dafür, dass ihr mir das Gefühl gebt, nicht so ganz blöd zu sein… Und ja, umgekehrt ist das Bild ähnlich. „Ach ihr scheiß Deutschen“, „Ihr seid doch alle Nazis“ und die unzähligen Beleidigungen in der Landessprache, die jeglichen Rahmen sprengen würden. Wofür schäme ich mich am Ende mehr? Für meine Landsmänner, die sich daneben benehmen? Oder für die wenigen Deutschen, die ihr Hinterwald-Denken immer wieder gerne bei großen Ereignissen in der Anonymität der großen Internetmasse kundtun? Beides nicht so cool…
Aber ich möchte da auch mal „danke“ sagen. Nämlich denen, die die Niederlage trotz des Grolls und unglücklicher Entscheidungen sportlich gesehen haben. Denen, die sich scherzhaft und wirklich amüsant einen fairen Spaß daraus gemacht haben und umgekehrt auch einstecken würden. Denen, die sogar nach dem Spiel gegen Uruguay warme Worte für Italien übrig hatten. Denen, die auf extreme Beleidigungen nicht eingegangen sind. Denen, die Rivalität in erster Linie sportlich sehen. Und vor allem meinen Freunden, Bekannten und Kollegen, die mich in nächster Zeit gerne damit aufziehen dürfen und auch werden. Würde ich andersherum auch tun! Allerdings auf eine Art und Weise, die mich selbst trotz schlechter Laune immer mal wieder zum Schmunzeln bringt. Es macht doch auch Spaß, dieses ewige Necken. Und dennoch sollte es irgendwo eine Grenze geben. In diesem Sinne: Mir geht es schon wieder viel besser und nein, ich wünsche Deutschland nicht, dass ihnen das gleiche passiert. Den Titel gönne ich euch auch, wenn ich auch eins zugeben muss: Es würde mir fehlen, euch nicht mehr mit einem Stern mehr aufziehen zu können! In diesem Sinne: Viel Glück Germany. 🙂
Giuseppe Cotrufo
27. Juni 2014 at 22:21
Diese Reaktionen von geistig unterbelichteten Deutschen sind ja völlig indiskutabel. Das darfst Du gar nicht an Dich heranlassen. Ich selbst habe anfangs eher Uruguay die Daumen gedrückt, weil sie mich im England-Spiel zumindest teilweise überzeugt haben. Wobei mir der TV-Kommentator den Suarez ein wenig zu vorbehaltlos feierte; bei seiner (Fußball-)Vita, der er dann ja unverzüglich ein weiteres Highlight hinzufügte. Nach dem wenigstens strittigen Platzverweis für Marchisio begann meine Stimmung sich zu drehen, nach der ungeahndeten Beißattacke erst recht. Trotz insgesamt mäßiger Leistung in der Gruppenphase hatte Italien es verdient, mit einem Remis das AF zu erreichen. Denn das Team verfügt über deutlich mehr spielerisches Potential als Uruguay 2014 und hatte dank Prandelli übers rein Sportliche hinaus einen sympathischen Gesamtauftritt. Dass Italien regelmäßig gegen deutsche Teams seine besten Turnierleistungen zeigt, ist zwar schmerzhaft, aber ja keinesfalls vorwerfbar. Ähnlich geht es anderen Nationalteams wie z.B. England gegen Deutschland. Na gut, dann kommen eben im Vorfeld wieder die Panzermetaphern, aber da muss man durch. Schade dass es nun in diesem Jahr nicht mehr zu einem erneuten deutsch-italienischen Duell kommen kann; Löw hatte sich dies ja sogar als Finalpaarung gewünscht. Aus meiner Sicht der richtige Ansatz: mit (durchaus nicht unangebrachtem) Selbstbewusstsein die interessante Herausforderung annehmen. Statt auf einem starken sportlichen Rivalen unqualifiziert herumzuhacken. Alle außersportlichen Ressentiments sind nochmal ein Thema für sich und im Grunde nur traurig. Egal aus welcher Richtung sie kommen.