Die Champions League geht so langsam in die ganz heiße Phase und acht Teams streiten noch um die Krone Europas. Ohne bestimmten Mannschaften zu nahe treten zu wollen, sind die Rollen bei zumindest drei Begegnungen recht klar verteilt. Barcelona, Real Madrid und Borussia Dortmund werden allesamt als Favorit in ihre Begegnungen gehen. So sehen es zumindest auch die Wettanbieter. Für ein Dortmunder Weiterkommen erhält man beispielsweise bei Tipico immerhin noch eine 1,3er Quote. Bei Barcelona und Real Madrid liegen die Quoten nur bei 1,15 bzw. 1,10. Scheinen also recht klare Angelegenheiten zu sein. Aber was bedeutet das schon?!? Im Fußball ist doch immer alles möglich… Naja, schaun mer mal, wie der gute alte Kaiser Franz jetzt wohl sagen würde.

Ein Spiel dürfte aber denkbar knapper ausfallen. Und zwar das Duell zwischen Bayern München und Juventus Turin. Bei den Buchmachern ist Bayern zwar noch recht klarer Favorit (1,55 Bayern, 2,4 Juventus), aber die Quoten zeigen auch, dass hier noch am ehesten mit Spannung gerechnet wird. Ich erwarte dieses Spiel sogar noch ausgeglichener. Wieso? Das werde ich euch nun erklären.

Da ich italienische Wurzeln habe, ist mir die Serie A natürlich nicht fremd. Und damit meine ich nicht das Berichterstattungswissen aus der deutschen Medienlandschaft. Wenn es danach gehen würde, dürfte die italienische Serie A fußballerisch schon lange tot sein – die Zuschauerproblematik lasse ich nun bewusst außen vor, weil sie in sportlichen Belangen keine Relevanz genießen sollte. Wenn man Kommentare in sozialen Netzwerken heranziehen würde, wäre das Bild noch trister. Trister als der Tod? Ja, irgendwie schon, aber dort mischt sich immer unheimlich viel Halbwissen in die Diskussionen mit ein. Deutsch-italienische Duelle gab es bereits zu Hauf. Und der Ausgang war nicht sehr häufig derjenige, den sich ein deutscher Fan gewünscht hätte. Dabei ist man nicht selten als leichter Favorit ins Spiel gegangen. Ich möchte aber dazu nicht noch mehr Worte verlieren. Dieser Text soll schließlich nicht den Anschein erwecken, dass ich damit wieder den Internet-Kleinkrieg zwischen Deutschland und Italien anheizen will, der bei jedem deutsch-italienischen Duell aufs Neue entfacht wird. Für die einen ist es Spaß, wieder andere nehmen es bierernst. Einige diskutieren tatsächlich sachlich, viele werden immer ausfallender. Ein Armutszeugnis ist es inzwischen leider, das man sehr vielen in den meisten Fällen ausstellen muss. Aber auch das ist nicht der Tenor meines Textes. Über ihre Ausfälligkeiten sollten vielleicht nur mal einige ernsthaft  nachdenken.

Kommen wir jetzt dazu, wieso Juventus für mich bereits vor der Saison so etwas wie ein Geheimfavorit war und auch für die Bayern eine echte Reifeprüfung werden wird. Ich möchte zuerst mal zum Spielsystem der Turiner kommen, das in dieser Form von keinem anderen Top-Team praktiziert wird. Es könnte allerdings für die Zukunft ein sehr interessantes und wegweisendes Modell werden. Juventus spielt nämlich nicht wie die meisten Teams mit einer Vierer-Abwehrkette, sondern mit drei Verteidigern. Ein System, gegen das die Bayern so noch nicht gespielt haben. Bei Gegenangriffen wird diese Dreierkette durch die Außenspieler sogar zu einer Fünferkette, wodurch die Räume für Bayern sehr eng gemacht werden. Die zentralen Spieler der Bayern sowie der Mittelstürmer werden somit nur sehr wenige Freiräume haben. Ein probates Mittel werden für die Bayern die Schüsse aus der zweiten Reihe sein. Juventus verteidigt nämlich nicht in einer klassischen Manndeckung, sondern übergibt die Spieler häufig und schnell. Dadurch entstehen kurze Momente der Neuorientierung, wodurch einige Räume frei werden, die allerdings noch nicht unmittelbar im Strafraum oder in Strafraumnähe sind. Durch die Gewissheit, hinten einen Weltklassemann wie Buffon stehen zu haben, ist es ein System, das so durchaus erfolgsversprechend ist, da der Torhüter aus der Distanz durch seine individuelle Klasse nur sehr schwer zu überwinden ist. Allerdings liegt eben da auch eine Stärke der Bayern. Man hat vor allem mit Toni Kroos einen Spieler in den Reihen, der wahrscheinlich über eine der besten Schusstechniken Europas verfügt – und das zeigt er nicht gerade selten. Eine weitere Anfälligkeit zeigen die Turiner bei schnellen Seitenwechseln. Durch das konsequente Einrücken der Außenspieler werden so Räume für Bayerns Außen frei. Ribery und Müller werden so sicherlich einige Male selbst in die Mitte ziehen können und den Abschluss suchen oder gefährliche Aktionen durch Flanken einleiten, wenn sie entsprechend in Szene gesetzt werden.

Es wird allerdings eine Eingewöhnungszeit der Bayern brauchen, wodurch die Anfangsphase in beiden Begegnungen entscheidend sein wird. Bayern wird nicht wie gewohnt angreifen und verteidigen können. Es könnte eine Unordnung vorhanden sein, die Juventus früh ausnutzen könnte. Viel wird also am Anfang auch von Bayerns Defensivverbund und Manuel Neuer abhängen.

Darüber hinaus verfügt Juventus über viele Individualisten, die ein Spiel entscheidend prägen können. Allen voran Andrea Pirlo. Man darf sich hier auch nicht von seinem Berserker-Look täuschen lassen, denn an am Ball gibt es kaum filigranere Ausnahmekönner. Die Pässe, die er spielt sind teilweise schier unglaublich, die Eleganz mit der er Bälle abschirmt, trotz mangelnder Geschwindigkeit, einzigartig. Bei Juve ist Pirlo der klare Dreh- und Angelpunkt des Spiels und ein Spieler, den man zwar keine 90 Minuten aus dem Spiel nehmen kann, aber den es zumindest in seinen Aktionen einzuschränken gilt. Dann sind da aber immer noch Spieler wie Vidal und Marchisio, die ebenfalls für so manchen Überraschungsmoment bei Vorstößen sorgen können und und sehr abschlussstark sind. Ohnehin gibt es bei Juventus viele Spieler, die das Tor machen können, wodurch sie unberechenbarer für Bayern werden. Diese Stärke zeigt aber zugleich die wahrscheinlich größte Schwäche der Norditaliener auf: Es fehlt ein echter Torgarant. Mit Vucinic hat man einen sehr spielstarken Stürmer in den Reihen, genauso Giovinco. Allerdings sind beide nicht die klassischen Stoßstürmer, die einfach immer Torgefahr ausstrahlen. Matri, Quagliarella, der verletzte Bendtner oder ein alternder Anelka sind auf diesem Niveau wohl keine echten Alternativen mehr. Da ist Bayern mit Mandzukic, Gomez und Pizarro eben deutlich stärker besetzt. Es ist wahrscheinlich auch der Knackpunkt, wieso Bayern insgesamt als Favorit in dieses Spiel gehen wird. Beide Teams spielen eine sehr starke Saison und sind so gut wie Meister. Bayern hat darüber hinaus noch gute Chancen auf das Erreichen des DFB-Pokalendspiels. In der Champions-League haben beide bereits gezeigt, dass sie zu den absoluten Top-Teams in Europa gehören. Nur hat Bayern neben den starken Mannschaftsteilen, die auch Juventus hervorragend besetzt hat, die Qual der Wahl, zwischen drei echten Top-Leuten in der Spitze. Selbst ein Pizarro, dieses Jahr die klare Nummer Drei in München, ist immer für ein Tor gut. Oder auch mal für vier, wie gegen den HSV (ich weiß natürlich selbst, dass das kein Maßstab war, aber es war eine Erwähnung wert) – ganz zu schweigen von der fußballerischen Qualität, die er mitbringt.

Juventus wird allerdings etwas befreiter aufspielen können, da der Champions-League-Titel in Italien nicht zwanghaft erwartet wird. Man erkennt die Leistungen der Bayern an und respektiert die Stärke der Münchner. Allerdings ist es auch eine typisch italienische Tugend, eine Menge Vertrauen in die eigenen Stärken zu haben und immer davon überzeugt zu sein, jeden schlagen zu können. Manche nennen es Arroganz, andere verstehen darunter gesundes Selbstbewusstsein. Ich denke, dass das Team von Trainer Antonio Conte mental absolut auf der Höhe sein wird, da die Top-Spieler eine Menge Erfahrung in diesen K.O.-Spielen mitbringen. Darüber hinaus halte ich Juventus für das wahrscheinlich cleverste Team im Feld, das insbesondere taktisch sehr diszipliniert agieren kann. Diese Stärken sind aber nicht neu, sondern über einen langen Zeitraum trainiert und manifestiert worden. Und auch wenn viele, wie bereits erwähnt, denken, dass man es in der Serie A nicht überbewerten soll, ungeschlagener Meister zu werden, zeigt es sehr wohl die Klasse des Teams auf. In der Spitze hat die Liga nach wie vor sehr starke Vereine, die man sicherlich nicht im Vorbeigehen schlägt. Ich denke da an die beiden Mailänder Clubs, den SSC Neapel, Florenz oder die zwei Hauptstadtclubs. Und eben deshalb durfte man auch mit starken Turinern für diese Champions League Saison rechnen.

Nichts desto trotz ist der Gegner, auf den Juventus Turin nun trifft, Bayern München. Ein Team, dessen Kaderbreite seinesgleichen sucht, das sich spielerisch enorm weiterentwickelt hat und das in allen Mannschaftsteilen sehr stark bis überragend besetzt ist. Bayern agiert zudem mit der Wut des verlorenen „Finale dahoam“ im Bauch. Dazu kommen die beiden schmerzhaften Nadelstiche durch zwei Dortmunder Meisterschaften am Stück. Wenn Bayern über beide Partien hinweg abruft, was die Mannschaft maximal kann, dann werden sie sich letztlich wohl durchsetzen. Wenn der designierte Meister sein  Spiel gegen Juventus allerdings nicht wie gewohnt aufziehen kann, dann könnte es für die Münchner mal wieder eine – für mich allerdings nicht gänzlich unerwartete – Enttäuschung geben.  Man muss – Betonung auf MUSS – vor Juve gewarnt sein. Bayern bleibt zwar der Favorit, aber nur leicht.

Beide  Spiele erwarte ich mit großer Vorfreude.

 Giuseppe Cotrufo

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