Dass Fußball eine Plattform für allerhand unterschiedlichster Aktionen sein kann, weiß man nicht erst seit gestern. Leider missbrauchen einige Stadionbesucher den Sport viel zu oft zur Verbreitung rassistischer Ideologien. Die Serie A kennt das Problem zu gut und sollte schleunigst und zielgerichtet entgegenwirken.

Erinnert ihr euch noch? Die Serie A der 90er Jahre? Sportlich erhaben, gespickt mit den Weltstars der Szene. Berühmt dafür, die stärkste Liga Europas zu sein. Internationale Größen wie Ruud Gullit, Marco van Basten, Marcel Desailly, George Weah, Ronaldo, Edgar Davids, um nur einige zu nennen, beglückten die Tifosi mit traumhaftem Fußball und historischen Erfolgen.

Aus der Ferne, auch aus Deutschland, blickte man oftmals neidisch in die italienische Liga und wertete sie mit den eigenen Weltstars zusätzlich auf. Diese sind gewiss nicht nur wegen des besseren Wetters und des guten Essens in den Süden gezogen – abgesehen davon, dass die Regionen der Topteams Italiens ohnehin den mitteleuropäischen Klimazonen ähneln. Man darf die Serie A heute gewiss nicht totreden. Auch dann nicht, wenn die deutschen selbsternannten Vorzeigeblätter es gerne und oft tun und dementsprechend ihre Inhalte – gezeichnet von einigen Eindrücken aus der Ferne und zu viel Polemik – zusammenpanschen. Das ist auf der einen Seite nicht die fairste Art und Weise der Berichterstattung, auf der anderen Seite allerdings schon so in den Köpfen vieler einst vorurteilsfreier Leser verankert, dass nach Hintergründen und „echten“ Zuständen kaum noch gefragt wird.

Rassismus ein allgegenwärtiges Problem

Ein Problem, das den italienischen Fußball allerdings wirklich belastet, ist kein unwesentliches. Der italienische Fußball wird bereits seit Jahren immer mehr zu einer Plattform für Fanatiker mit rassistischen Ideologien. Ein Problem, in dessen Bekämpfung sich der italienische Ligaverband sehr schwer tut. Bevor weiter auf dieses Problem eingegangen wird, soll aber auch etwas anderes vor Augen geführt werden, da dieser Artikel nicht dem Sinn nachgeht, den Moralapostel im Leser zu wecken oder ihn der Heuchelei auszusetzen. Es ist schließlich eine Bestandaufnahme der Kurven – der Fankurven. Oftmals geht mit negativem Verhalten in eben jenen Kurven gerne die Floskel „Was dort passiert ist, ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“ einher, um wieder einmal ein Ereignis zum Politikum werden zu lassen, das in seinen Regeln fernab von jeglichen gesellschaftlichen Normen – sei es moralisch oder auch gesetzlich – stattfindet. Die „Curva“ verhält sich nach anderen Spielregeln, ohne sich dabei als eigenständige, gesetzgebende Instanz zu verstehen. Es war eher ein schleichender Prozess, in dem bestimmte gesellschaftliche Werte und Normen temporär außer Kraft gesetzt wurden, ohne sich dabei schlecht fühlen zu müssen. Heute gehört das mitunter grenzwertige Verhalten, das man in Gesellschaft außerhalb des Stadions wohl nie offenlegen würde, zum „guten Ton“ in der „Curva“. Es ist eine von vielen Facetten des Stadionerlebnisses. Da die Unterscheidung von Rassen aber ohnehin ein sehr sensibles Thema ist, für Italien und Deutschland gleichermaßen, wird bei den Schmähgesängen unterschieden – mit Recht, aber dennoch sei der Zusatz erlaubt, dass beispielsweise homophobe Schmähgesänge keinerlei Sanktion nach sich ziehen. Mit welchem Maß wird also gemessen? Ist es okay, nur weil sich ohnehin kaum jemand outet und man einen womöglich homosexuellen Fußballer unwissentlich beleidigt? Oder ist es einfach nur vertretbar, weil es schon seit Jahren aus den Rängen tönt? Zweiteres wäre schlicht und ergreifend wahnsinnig fahrlässig als Argumentationsgrundlage. Wo soll denn dann das Rassismus-Problem enden, wenn sich die Bekämpfung einiger Unverbesserlicher weiter verschleppt. Ist es dann etwa auch irgendwann okay? Es wird doch dann schließlich zu einem „normalen“ Phänomen der Kurve. Mitnichten. Denn Ideologien, die auf Rassentrennung oder höhergestellte und untergestellte „Rassen“ basieren, haben in unserer globalisierten Welt keinen Platz.

Italien ist nach Ablauf dieser Saison nicht das erste Mal negativ aufgefallen und dennoch erscheint es in diesem Jahr besonders extrem für den Betrachter aus dem Ausland. Zwei Mal involviert: Der AC Mailand. Allerdings nicht in der Täterrolle. Bei einem Freundschaftsspiel gegen den Viertligisten Pro Patria kam es zu rassistischen Äußerungen gegen Kevin Prince Boateng und einige andere farbige Spieler. Boateng verließ den Platz, sorgte damit für einen Spielabbruch und entfachte damit vor allem medial eine weltweite Rassismus-Debatte. Die Reaktionen waren voll mit Lob, es gab allerdings auch kritische Töne. Und die waren ebenfalls wichtig, da sich noch niemand durch eindimensionale Betrachtungsweisen auf die Schulter klopfen konnte. Es gilt nicht nur dieses Beispiel aus mehreren Blickwinkeln zu analysieren. Prävention gegen solches Verhalten kann nicht erst beim Spieler im Stadion beginnen. Soll nun etwas jedes Spiel unterbrochen werden, einigen Idioten so ein großer Einfluss auf ein Fußballspiel eingeräumt werden? Das kann nicht die einzige Lösung sein, aber ein Patentrezept hat dennoch niemand gefunden.

Der Schlüssel liegt im Dialog aller Gruppen

Ein aktiverer Kampf, der öffentlich auch wohlwollend als solcher aufgenommen werden würde, könnte dabei aber schon einige Gemüter beruhigen und wäre sicherlich ein Anfang. Zeigt den echten Fans, dass ihr sie, die Spieler und den Fußball schützen wollt. Nehmt sie vor allem bei euren Entscheidungen mit ins Boot und zeigt ihnen aufrichtig, dass ihr mit und nicht gegen sie arbeitet. Beschäftigt euch mit den Kurven, ihren Strukturen und sucht mit ihnen den Dialog als gleichwertige Gesprächspartner. Das Verhältnis muss schnellstmöglich korrigiert werden und es muss das Gefühl vermittelt werden, dass beide Instanzen, Verantwortliche und Fans, respektvoll miteinander umgehen wollen. Nur so kann diese zerrüttete Beziehung korrigiert und dauerhaft verbessert werden. Nur so garantiert man sich die Hilfe der echten Fans gegen Kurvenprobleme. Dass man in harmonischem Einklang nebeneinander existiert ist utopisch, aber das ist auch gar nicht nötig, wenn an den anderen genannten Problemen gearbeitet wird.

Auch Mario Balotelli erwischt es immer wieder, wenn man von den Opfern dieser Schmähgesänge spricht. Ganz gleich ob man diesen wahrlich polarisierenden Fußballer nun mag oder nicht, ist es nicht in Ordnung. Beim Spiel gegen den AS Rom, das fußballerisch kein Leckerbissen war, sorgten so vor allem die Fans der Roma für Gesprächsstoff. Affenlaute und Beleidigungen, die gezielt auf seine Hautfarbe anspielten, veranlassten den Schiedsrichter dieser Partie das Spiel für knapp zwei Minuten zu unterbrechen. Es war nicht das erste Mal, dass es zu den Gesängen kam, aber hier sorgte wieder eine Unterbrechung für weltweites Gehör und ließ den Ruf wieder lauter werden. Es kann aber nicht sein, dass dieses Problem nur durch solche Gesten von Spielern und Schiedsrichtern temporär in den Fokus rückt. Aufgrund der Vergangenheit ist das kein Kavaliersdelikt.

Weniger Polemik, mehr Lösungsansätze!

Dass die Medien aber ihr übriges tun, um an den falschen Stellschrauben zu drehen, zeigt eine Autorin der Süddeutschen Zeitung, die ich sonst sehr schätze. Sie berief sich dabei auf die etruskische Wölfin im Wappen der Roma und zog gleich einen Quervergleich zum römischen Imperium. Sie beweist zwar somit tolle historische Recherchefähigkeiten, offenbart aber genauso viel Kurzsichtigkeit und persönliche Distanz zu den Fankurven. Es mag eine nette Herangehensweise sein, wenn man metaphorisch durch den Bezug der römischen Geschichte auf einige Unzulänglichkeiten hinweist, doch sind Sätze wie „Dass das Imperium einst auch von Cäsaren aus Nordafrika regiert wurde, weiß in der Kurve kein Mensch“ oder „Das Kurven-Weltbild ist ebenso schlicht wie konfus“ nicht gerade förderlich zur Bekämpfung des Problems.

Gerade auch der Satz „Sie zeigt an, dass sich Italiener im Stadion nicht länger aufführen dürfen wie auf der Straße – oder im Parlament“ bezüglich der Spielunterbrechung führt auf, wie polemisch, provokativ und mitunter beleidigend berichtet wird. Fans werden grob gesagt als Idioten pauschalisiert, Kurvenfans wird weniger Intellekt eingeräumt und weiter wird gleich auch noch den italienischen Durchschnittsbürgern samt der wenigen vernünftigen Politiker – das sind leider wirklich nur eine Hand voll – extrem gegen den Kopf getreten. Ein Lösungsansatz sieht anders aus – vielleicht gab es ja immerhin einen Lacher dafür…

Die Personen mit denen dafür gesprochen werden muss, stehen auch in jenen Kurven. Eben dort, wo die Ursachen des Problems tatsächlich liegen. Und lässt sich ein Problem nicht sprichwörtlich am besten immer an der Wurzel packen? Ich denke schon!

Giuseppe Cotrufo