Ein Gastbeitrag von Markus Foos

Ihr könnt doch nicht wirklich stolz auf Euch sein.

Für Euch, liebe HSV-Fans, gibt es aktuell nur wenig Zuneigung in Fußball-Deutschland und das könnt Ihr nicht verstehen. Vielleicht hilft Euch dieser Artikel. Er schildert die letzten Tage aus den Augen eines KSC-Fans und soll Euch helfen, die Welt durch die Augen von jemandem zu sehen, dem ihr momentan triumphierend gegenüber steht. Vielleicht trägt das zu etwas mehr Verständnis bei. Es wäre wunderbar. 

In diesem Artikel soll es nicht um Missgunst oder Hass gehen. Auch nicht darum, wer in zwei Relegations-Spielen oder über eine komplette Saison oder über eine gesamte Lebzeit die bessere, charakterstärkere oder schönere Mannschaft war. Es soll darum gehen, wie sich die 91. Minute des Relegation-Rückspiels für jemanden auf der anderen Seite angefühlt hat. Mit seiner Vorgeschichte. Und wie es sich anfühlt, Euch jetzt gegenüber zu treten.

Als KSC-Fan ist man das ständige Wechselspiel zwischen Lust und Leiden im Fußball fast gewohnt. Was es trotzdem nicht einfacher macht. Man hat erlebt, dass Dinge nicht immer gut gehen. Man hat erlebt, dass es möglich ist, sehr tief zu fallen. Sogar tiefer als man sich jemals vorstellen konnte. Ich bin mit 11 Jahren Fan geworden – der KSC hatte damals gerade 7:0 im UEFA-Pokal gegen den FC Valencia gewonnen. Mir wäre niemals in den Sinn gekommen, dass der KSC jemals mal nicht im UEFA-Pokal spielen könnte. Der HSV stand damals mehrfach hinter uns in der Tabelle. Ich war überzeugt, dass das die natürliche Hackordnung sei und der HSV niemals vor dem KSC stehen würde. Aber es kam so. Vier Jahre später hätte ich niemals gedacht, dass es überhaupt theoretisch möglich sein könnte, dass der KSC in die zweite Liga absteigen würde. Aber es kam so. Für mich war selbstverständlich, dass der KSC sofort wieder aufsteigen würde. Drei Jahre später stiegen wir in die dritte Liga ab und der Verein überlebte nur, weil uns ein Investor ein paar Millionen lieh, an deren Rückzahlung der Verein heute noch zu knapsen hat. Der Betrag ist übrigens lächerlich im Vergleich zu dem, was bei Euch mal nebenbei alleine in dieser Saison investiert wurde.

So ging es die nächsten Jahre weiter. Über die Jahre kamen wir wieder in die Bundesliga. Unsere Wege (die des HSV und des KSC) kreuzten sich ein paar Mal. Einmal habt ihr uns dabei mit 7:0 abgeschossen. Gefeiert haben wir trotzdem beide. Ihr als Vierter, wir als Elfter. Wir haben gefeiert, weil wir eine Mannschaft hatten, die uns eine – für unsere Verhältnisse – überragende Saison geschenkt hatte. Wir machen das übrigens gerne. Also unsere Mannschaft feiern. Wir finden unsere Mannschaft auch ziemlich oft ziemlich gut. Auch wenn sie nicht UEFA-Pokal spielt. Weil sie mit unserer Unterstützung oft viel mehr aus sich macht als anderswo möglich wäre.

Im Jahr drauf sind wir unglücklich abgestiegen und haben die Mannschaft, die wir so liebten, verloren. Sie wechselte zu allen möglichen Vereinen und zurück blieb ein gerupfter Verein. Der zwei Jahre später in die dritte Liga abstieg. Sich dort neu aufstellte, wieder aufstieg und nach zwei Jahren eine Saison spielte, die weit über seinen Verhältnissen lag. Mit einer Mannschaft, die verschworen und verbrüdert war. Die mehr aus sich raus holte als anderswo und die ihre Fans begeisterte.

Das ist die Mannschaft, der ihr am Montag gegenüber gestanden habt. Diese Mannschaft also spielt eine super Saison mit einigen Tiefpunkten und vielen Höhepunkten. Mit viel Drama und einer geschlossenen Mannschaftsleistung, die uns am Schluss auf Platz 3 stellt. Und uns zwei Relegations-Spiele beschert, über die wir uns freuen. Weil wir sie als Chance verstehen, eine tolle Saison zu krönen.

Gleichzeitig schaut man als KSC-Fan immer auch, was eine Klasse höher so passiert. Wir bekamen mit, wie ihr drei Trainer in einer Saison verschlissen habt. Wie ihr Euch – mal zu Recht, mal vielleicht auch nicht – über Eure Spieler lustig macht. Wie sich Eure Fans von Euch abwenden. Wie Ihr zum zweiten Mal in Folge einen so schlechten Eindruck macht, dass sich ganz Fußball-Deutschland Euren Abstieg zu wünschen scheint (wenn man mal so durch die Kommentare der gängigen Fachblätter liest).

Schlussendlich helfen Euch ein paar glückliche Tore in den letzten Spielminuten und ein 2:0 gegen ein auseinander brechendes Schalke doch noch auf den Relegationsplatz. Und Fußball-Deutschland fragt sich, ob das wirklich verdient ist oder ob nicht die Freiburger eher dahin gehört hätten. Denen ihr mit einer fragwürdigen Aktion (Kacar gg. Bürki) in letzter Minute den Sieg entrissen habt.

Vor den Relegations-Spielen spüren wir den Rückhalt von Fans vieler Vereine. Aus allen Himmelsrichtungen posten uns Menschen auf die Facebook-Wall, dass wir Eurem Leiden endlich ein Ende setzen sollen. Dass wir Euch in die zweite Liga schicken sollen, damit endlich vollendet wird, was ihr offensichtlich schon so lange anstrebt. Ob das jetzt richtig und fair ist oder nicht – dahingestellt. Aber wir spüren: den HSV will eigentlich keiner mehr so richtig da oben. Und wir haben eine tolle Saison gespielt.

Das setzt sich fort. Im Hinspiel bietet der KSC ein mitreißendes Match und spielt Euch teilweise an die Wand. Wir führen früh und müssen in der 51. Minute mit ansehen, wie der Ball zwei Mal an die Latte springt. Und dann läuft Reinhold Yabo mit dem Ball am Fuß in den Strafraum und fällt nicht, als er elfmeterwürdig getroffen wird. Und der Schiedsrichter pfeift nicht – weil Yabo nicht fällt.

Aus dem Nichts macht Ihr das 1:1. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir eigentlich 3:0 führen müssen.

Beim Rückspiel stellt sich der KSC hinten rein. Weil es das Spiel des KSC über die ganze Saison war. Wir stehen sicher, ihr findet keinen Weg. Ihr habt den Ball, aber Eure Anspielstationen sind zugestellt. Bis zur 78. Minute. Dann wird Reinhold Yabo eingewechselt und genau dieser Yabo bringt Dynamik ins Spiel. Es dauert nicht lange bis er vor dem Tor freigespielt wird und das 1:0 erzielt.

In Karlsruhe brechen alle Dämme, im Jolly Roger (wo ich geschaut habe) brechen alle Dämme. Wildfremde Menschen umarmen sich, umarmen mich. Freuen sich über den KSC. Und ja – sie freuen sich auch gegen den HSV. Weil sie sagen, dass hier ein Stück Gerechtigkeit passiert. Dass all das unverschämte Glück, das Euch erst in dieses Spiel gebracht hat, das Euch letzte Saison oben gehalten hat, sich jetzt, final, dann doch endlich rächt. Dass zweimal Platz 16 in Folge einfach nicht gut genug für die erste Liga ist. Und sie freuen sich, dass eine Mannschaft, die eine tolle Saison gespielt hat, den verdienten Lohn einfährt.

Blöd ist, dass der KSC durch dieses Tor unruhig wird. Die Defensiv-Ordnung verliert. Und ihr alles nach vorne werft. Es wird dramatisch. Es gibt drei Situationen, in denen ich fast ohnmächtig werde. Aber irgendwie haben endlich auch wir mal ein bisschen Glück. Der Fußball-Gott scheint die Ehrlichkeit von Yabo im Hinspiel und das Pech bei den Lattentreffern zu honorieren.

Nach acht Jahren keimt in mir die leise Freude auf, endlich wieder ein Spiel gegen die Bayern bestreiten zu dürfen. Endlich wieder zu einer normalen Uhrzeit Fußball schauen zu können. Endlich wieder das Gefühl erleben zu dürfen, zu den Großen zu gehören. Mit stolz geschwellter Brust die Bundesliga-Hymne zu hören. Mich zu freuen, wenn ich das Logo meines Vereins neben den 17 anderen, großen, Vereinen sehen darf. Und diese Mannschaft, diese eingeschworene Truppe, nicht in alle Himmelsrichtungen verschwindet, sondern als ein Karlsruher Team die Bundesliga entert.

Dann kommt ein Schuss, ein Pfiff und ein Freistoß aus 18 Metern in der 91. Minute. Als mein Gehirn noch den Gedanken formuliert, dass es einfach brutal unfair wäre, ist es schon passiert. Der Ball liegt im Netz, Eure Spieler drehen jubelnd ab. Ich bin fassungslos.

30 Minuten später habt ihr das zweite Mal getroffen. Unser Traum ist geplatzt, obwohl er so nah war. Uns fehlten zwei Minuten zur Bundesliga. Zwei Minuten, um eine ganze Saison zu krönen. Jetzt versinken wir in Trauer. Obwohl wir eine super Saison gespielt haben und ihr nicht.

Ob es nun gerecht ist oder nicht, ob glücklich, verdient oder unglücklich und unverdient – da kann sich jeder seine Meinung bilden. Für mich fühlt es sich unfair, ungerecht, unglücklich, unverdient, schrecklich, ekelhaft, widerlich, brutal, traurig und herzzerreißend an. Ich will heulen, aber ich kann nicht. Ich fühle mich so leer wie nie zuvor nach einem Fußballspiel. Ich will diesem Sport entsagen. Etwas Grausameres konnte (und kann) ich mir einfach nicht vorstellen, als in diesem Spiel auf diese Art zu verlieren. Mir ist klar, dass das bedeutet, dass die Mannschaft sich jetzt auflöst. Dass die guten Spieler zu anderen Vereinen wechseln und wir im nächsten Jahr froh sein können, wenn wir uns irgendwie in der zweiten Liga halten können. Dass hier etwas endet, das so geil hätte werden können. Wegen Euch.

Danach steht Ihr vor mir. In der Realität, auf Facebook, auf Sportseiten, im Radio. Und ihr sprecht davon, dass der KSC „zu schlecht für die Bundesliga sei“, dass der HSV „unschlagbar“ und „unabsteigbar“ sei. Dass es eben darauf ankommen würde, dass man im richtigen Moment präsent sei. All so ein Quatsch. Faktisch ist das manchmal richtig, in den meisten Fällen nicht.

Was all dem aber auf jeden Fall fehlt sind Demut, Verständnis und Respekt für den Gegner. Ihr habt noch nie annähernd so gelitten wie wir. Und darauf seid ihr stolz. „Unabsteigbar“ haltet ihr für ein Gütesiegel. In diesen Tagen wird mir einmal mehr klar, wie furchtbar ekelhaft Euch dieses Gütesiegel gemacht hat.

Ich wünsche Euch die Erfahrung eines Abstiegs von Herzen. Damit ihr erlebt, wie furchtbar sich so etwas anfühlt. Damit ihr einmal gelernt habt, was Schmerz und Niederlage im Fußball bedeuten. Damit ihr Euch künftig in Euer Gegenüber einfühlen könnt, wenn Ihr ihnen in letzter Sekunde das Herz raus reißt. Und vielleicht endlich ein bisschen sympathischer werdet.