Gibt es so etwas wie „Lieblings-Absteiger“ in der laufenden Saison? Eine solche, nicht uninteressante These stellte Philipp Selldorf (Süddeutsche Zeitung) in dieser Woche in einem SZ-Online-Kommentar auf. Kernpunkt seines Textes: Eine überwältigende Mehrheit der deutschen Fußballfans würde wohl sehr gut damit leben können, wenn die drei Clubs, die derzeit das Tabellenende „zieren“ (also die SpVgg Greuther Fürth, die TSG Hoffenheim und der FC Augsburg) auch nach dem 34. Spieltag noch dort kleben bleiben und schlussendlich den Weg in die 2. Bundesliga antreten würden.

Woher diese Einstellung kommt? Nun, wie Selldorf anmerkt, liegt es im Falle von Augsburg und Fürth daran, dass sie für „entbehrlich“ gehalten werden. Zugegeben, das ist ein ziemlich fieses Wort, aber vermutlich in der Wahrnehmung vieler Fans nicht ganz falsch: Den beiden Clubs fehlt eben ein bisschen die Attraktivität aus Sicht der Gegner, die vermutlich lieber gegen Vereine mit größerem Fanaufkommen und Renommee (Kategorie Hertha, Köln, Kaiserslautern) oder langjähriger Bundesliga-Geschichte und -Tradition (Kategorie Bochum, Karlsruhe, 1860, St. Pauli, Duisburg) antreten würden. Kurzum: Hier geht es wahrscheinlich weniger darum, dass man Augsburg oder Fürth etwas Böses will, sondern eher darum, dass ihre Anwesenheit in der Eliteklasse halt das Wegfallen einiger, mehr oder weniger, „lieb“gewonnener Gegner zur Folge hat – „the enemies you love to hate“ sozusagen.

Anders sieht es da im Falle Hoffenheim aus. Wie Selldorf so schön schreibt:

„Nach Erkenntnissen des Meinungsforschungsinstituts Tim Wiese haben die meisten Deutschen keine gute Meinung von 1899 Hoffenheim: ‚95 Prozent freuen sich doch, wenn ich oder Hoffenheim Tore kriegen‘“

Diese Aussage stammt aus einem Wiese-Interview von vor knapp drei Wochen. Und auch wenn man über den tatsächlichen Prozentsatz jener, die sich über Hoffenheimer Gegentore freuen, diskutieren kann, hat der gute Tim mit ziemlicher Sicherheit nicht ganz unrecht soweit. Ich persönlich würde diese Aussage auch so unterschreiben.

„Neid essen Seele auf“?

Doch warum? Warum nur diese Schadenfreude? Nun, da haben sowohl der Wiese als auch sein Mannschaftskollege Tobias Weis mal wieder die übliche reflexartige Floskel im Köcher, das eherne Totschlagargument, mit dem man sich selbst stets aus jeglicher Schusslinie bringen kann: der gute alte Neid der Anderen! „Man spürt, dass uns keiner was gönnt“, sagt Weis. Und der gute Tim legt gleich noch nach und stellt im Stile eines Sozialkritikers fest: „Deutschland ist ein Neiderland.“

Da ist sie wieder: Die gute alte Pauschalisierung. Denn das Perfide an diesem „Argument“ ist, dass man sich so herrlich dahinter verstecken kann: Es wird so getan, als wenn damit jegliche Kritik ihre Berechtigung verloren hätte. „Ihr seid ja nur neidisch“ – Schluss, Aus, Totschlagargument. Als wenn ein korrupter Politiker dadurch weniger korrupt werden würde, dass die Bevölkerung eigentlich auch gern so viel Geld hätte wie er…

So einfach kann man es sich also machen – wenn man Kritik lieber ausweichen möchte als sich mit ihr auseinander zu setzen. Nur, lieber Tim, liebe TSG: Eine Schmollhaltung inklusive Opfer-Gehabe im „Keiner mag uns“-Stil wird an eurer mangelnden Beliebtheit auch nichts ändern. Denn mal ehrlich: Beneidet werden auch andere Vereine (und das vermutlich deutlich mehr), ohne dass man sie deshalb gern aus der Liga hätte. Ich gebe zum Beispiel gerne zu, dass ich den FC Bayern oder den BVB für das beneide, was sie in den letzten Jahren (bzw. der FCB in den letzten Jahrzehnten) aufgebaut hat. Dennoch käme mir im Leben nicht der Gedanke, mir einen von beiden Clubs aus der Liga zu wünschen.

Dass das bei Hoffenheim anders aussieht (und auch von einer gar nicht so kleinen Menge an Fans ebenso empfunden wird), liegt also mitnichten nur am bösen, bösen Neid und – zumindest für mich persönlich – auch nicht an der oft zitierten mangelnden Bundesliga-Tradition des Vereins. Jeder Club hat grundsätzlich das Recht, sich eine solche erst einmal zu erarbeiten; das mussten beispielsweise Freiburg oder Mainz ja auch erst einmal tun.

Der „Fall Hoffenheim“

Was aber bei Hoffenheim eben anders ist als bei den beiden genannten Clubs oder eben den derzeitigen Kellernachbarn aus Fürth und Augsburg ist der absolute Mangel an jeglicher Authenzität. Alles an der TSG Hoffenheim schreit förmlich „Ich bin ein Kunstprodukt!“ Dass Hoffenheim in erster Linie das Image als Hopps Retortenbaby hat, liegt daran, dass man kein anderes Image, keine Ecken und Kanten hat, die wahrnehmbar sind. Ein Problem, das hausgemacht ist, denn der Club möchte gern alles auf einmal sein: Der sympathische kleine Dorfclub, dessen Aufstieg überhaupt ein „Märchen“ ist…aber gleichzeitig bitte auch Anwärter aufs internationale Geschäft! Ein Verein, der mittelfristig was aufbauen will…aber jetzt schon den vierten Trainer in nicht einmal zwei Jahren verheizt.

Gerne denke ich auch an die (gar nicht so ferne) Zeit zurück als die TSG nach ihrem erstmaligen Zweitliga-Aufstieg klar machte, dass man die 2. Liga als Übergangsstation ansehe, unmittelbar zurückruderte als das öffentliche Echo daraufhin (überraschend…) negativ war und betonte, dass der Aufstieg in die Bundesliga überhaupt kein Thema sei – und kurz darauf für drei Spieler (Ba, Eduardo und Obasi) 18 Millionen locker machte! Das war mehr Geld als viele Erstligisten und vor allen Dingen mehr als alle anderen Zweitligisten (also die direkte Konkurrenz) zusammengenommen(!) in Transfers investierten. Klaro, dass man sich mit solchen Investitionen auf einen längeren Zweitliga-Aufenthalt vorbereitet…. Denn wie drückte es der damalige Manager Jan Schindelmeiser im Tagesspiegel aus: „Wissen Sie, wenn wir wirklich mit Gewalt in die Bundesliga wollten, hätten wir keine Zwanzigjährigen verpflichtet, sondern erfahrene Spieler“. Logisch: 6 Millionen gibt man als Zweitliganeuling gerne mal für einen reinen „Perspektivspieler“ aus…

Das war übrigens auch dieselbe Saison, in der aus der TSG Hoffenheim „1899 Hoffenheim“ wurde, sprich: der Name, unter dem man antratm geändert wurde. Grund: Man wolle moderner klingen. Und was drückt wohl Modernität besser aus, als das Implementieren des Gründungsjahres und damit einhergehende Vorgaukeln von Tradition?

Apropos Imagewandel: Dann gab es da ja noch diese nette Episode in der Wintertransferperiode 2011/12 als man sich plötzlich mal ganz demütig zeigen wollte und erklärte, man müsse ja auch wirtschaftlich arbeiten, und sich daher eben auch mal von Leistungsträgern wie Luiz Gustavo oder Demba Ba trennen. Klar: Unabhängig werden vom Mäzen, Financial Fairplay und so.  Und was macht man so als wirtschaftlich denkender Verein, der auf Konsolidierung aus ist? Man verpflichtet für rund sieben Millionen Ryan Babel aus Liverpool – naheliegend. Hätten der 1.FC Nürnberg oder der FSV Mainz nicht anders gemacht…

Wie gut der Wunsch nach einem Image von Wirtschaftlichkeit und die Umsetzung zusammengehen, darf auch in der laufenden Wintertransferperiode mal wieder angezweifelt werden: über 11 Millionen Euro hat die TSG jetzt wieder an Transferausgaben in den Kader gefeuert – Gehälter nicht mit eingerechnet. Das ist fast noch einmal so viel wie schon im Sommer. Nun weiß ich zwar nicht wirklich, wie viel ein potenzieller Abstieg den Club kosten kann und ob dieser Betrag dann nicht vielleicht sogar wirklich die „günstigere“ Alternative wäre – aber unter Financial Fairplay Gesichtspunkten kann ich’s zumindest nachvollziehen, wenn Anhänger der Tabellennachbarn aus Fürth oder Augsburg angesichts solche „Wirtschaftlichkeitsbemühungen“ die Nase rümpfen…

Wenn man jedenfalls bedenkt, dass inklusive Winterpause nun in dieser Saison 24,3 Millionen Euro für die Verpflichtung von 16 Spielern ausgegeben hat, dann hat das weniger Züge von einem Abstiegskandidaten, sondern eher was vom VfL Wolfsburg unter Felix Magath. Das alleine sollte Warnung genug sein, denn das Ergebnis des Kaufrauschs muss dort derzeit sein Nachfolger Klaus Allofs ausbaden: Kaderverschlankung – kein einfaches Unterfangen, denn wer lässt sich schon bei so exorbitanten Gehältern gern wegjagen? Für Hoffenheim also nicht gerade ein Vergleich, der die Sympathiewerte in die Höhe schnellen lassen dürfte.

„Wir sind mehr als Dietmar Hopp“ – tatsächlich?

Und dann ist da ja auch noch ein anderes leidiges Thema: Der Wunsch, dass der geneigte Zuschauer endlich mal von dem Gedanken wegkommt, Hoffenheim sei gleichzusetzen mit Dietmar Hopp. Das Image als Hopp-regierter Retortenclub möchte man doch so gern loswerden – gibt aber gleichzeitig seit dem Aus der Achse Rangnick/Schindelmeiser keiner anderen Persönlichkeit mal eine echte Chance, zum „Gesicht“ des Vereins zu werden. Trainer und Sportdirektoren geraten binnen weniger Monate wieder auf die Abschussliste…wen soll man denn als Außenstehender dann sonst noch als den wahren „Machtfaktor“ wahrnehmen? Als Verein mit einem klaren Konzept wollte man ursprünglich mal wahrgenommen werden. Und das einzige Konzept, was man nach fünf Jahren Bundesligazugehörigkeit feststellen kann, wenn man von außen auf den Verein blickt, ist, dass da ein sehr reicher Mann im Verein sitzt, der als einzige Konstante alle Personal- und Philosophie-Rochaden überdauert…und ein Club, der noch nie international gespielt hat, es trotzdem aus irgendeinem Grund Jahr für Jahr verkraften kann, zweistellige Millionenablösen auszugeben. Sorry, aber das klingt für mich beim besten Willen nicht danach, dass „ die TSG Hoffenheim mehr ist als nur Dietmar Hopp“…

Zu guter Letzt noch etwas, das zwar nicht wirklich was mit „Authenzität“ hat, aber ebenfalls nicht unbedingt dazu angetan ist, die Sympathiewerte der TSG in die Höhe schießen zu lassen: Der weinerliche und völlig unverhältnismäßige Umgang mit Provokationen und Kritik. Wo zum Beispiel ein Uli Hoeneß, das ehemalige Schalker Aushängeschild König Rudi Assauer oder bestimmt auch heutzutage ein Hans-Joachim Watzke Anfeindungen gegnerischer Fans mehr oder weniger nur mit einem Schulterzucken quittieren würden und ein Olli Kahn jahrelang Bananenwürfe und Affenvergleiche aus dem Fanblock mit grimmiger Entschlossenheit ignoriert hat, war sich der feine Millionär von nebenan nicht zu schade, einen 19jährigen BVB-Fan wegen eines vielleicht nicht unbedingt geschmackvollen „Hasta la vista“-Plakats verklagen zu wollen. Und als er sich zu Zweitligazeiten mal Zweifel an der wirtschaftlichen Seriosität seines Vereins durch den damaligen Mainzer Manager Heidel anhören musste, bestand Herrn Hopps Reaktion darin, sich per schriftlicher Beschwerde beim DFB auszuweinen – mit der Forderung, solcherlei „Diskriminierungen“ doch bitte genauso konsequent zu verfolgen wie…Rassismus! An und für sich schon eine ziemlich absurde Analogie. Umso kurioser wird die Gleichsetzung, wenn sie von  einem Vereins kommt, der selbst erwiesenermaßen bemüht war, gegnerische Fans per Lautsprecher-Attacke mundtot zu machen…aber Moment: Das war ja nur ein „Einzeltäter“, der seine Apparatur „ohne Wissen des Vereins“ mehrfach an der Security vorbei in den Gästeblock eines Fußballstadion eingeschmuggelt hat. Schon klar…

Das Ende vom Lied

Kurzum: Ich für meinen Teil komme da insgesamt auf eine ganze Menge andere Gründe, diesen Club für entbehrlich in Sachen Bundesliga zu halten, an denen man auch mal mit ein bisschen mehr Selbstkritik vereinsintern die Schrauben ansetzen könnte, wenn einem wirklich was am eigenen Image liegt – da mag ein Herr Wiese noch so sehr spekulieren, dass da lediglich der Neid spricht.

Apropos Wiese: Der wiederum ist ja seit gestern auch mit der Leihe von Torwart-Ikone Heurelho Gomes erst einmal aussortiert worden. Aber nein, auch diese Aussage wäre vermutlich im Hopp-Sprech wieder eine „Diskriminierung“, denn – wie sich der aktuelle Sportdirektor Andreas Müller nicht zu schade ist, zu betonen – man wolle den Keeper damit ja „schützen“. Wovor? Natürlich vor der bösen, bösen Öffentlichkeit, bei der Wiese ja derzeit nach seiner schwachen Hinrunde chancenlos sei, „vernünftig bewertet zu werden“. Klassische Hoffenheim-Logik: Unser Torwart steht im Kreuzfeuer, also ist das Beste, was wir für ihn tun können, ihn kurzerhand zu degradieren und ihm einen anderen vor die Nase zu setzen. Denn genau das ist es doch, was ein Profisportler will, wenn er sich gerade in einer Krise befindet: Bloß nicht spielen! Ist doch so, oder? Dabei natürlich noch viel wichtiger: Schuld sind ja eh nur die anderen. Wie immer.

Vermutlich sind diese „Anderen“ ja nur neidisch…

Marco Jankowski