Bevor ich diesen Text schreibe, eins vorweg: Ich bin immer noch zutiefst gefrustet wegen des Ausscheidens im Pokal gegen Saarbrücken und mein Puls hat sich gefühlt gerade mal auf immer noch hohe 172 gesenkt. Schuld ist aber nicht nur die Tatsache, dass Werder zum dritten Mal in Folge gegen einen Drittligisten ausgeschieden ist, sondern vielmehr die Art und Weise, wie es passiert ist. „Pokal hat seine eigenen Gesetze…“ „Mannschaften wachsen über sich hinaus…“ „Blabla…“ „Und ich hätte auch als König von England geboren werden können…“ Gegen dieses Werder Bremen war es aber nicht nötig über sich hinauszuwachsen. Nach dem Spiel eine Sensation zu beschreien, war einzig der Tatsache des Klassenunterschieds geschuldet, denn was sich auf dem Platz abspielte, war für einen Fan der Grün-Weißen – so wie ich es einer bin – das absolute Armutszeugnis einer Mannschaft, die kein System erkennen ließ, keinen Spielwitz, keine Kreativität, keine Verbesserung hinlänglich bekannter Schwächen und phasenweise einfach kein Herz, keine Leidenschaft und absolut keinen Glauben an die eigenen Fähigkeiten!

Mir fällt es sehr schwer, das alles in Worte zu fassen und nicht weit übers Ziel hinaus zu schießen. Außerdem ist es nicht gerade einfach seiner großen Liebe zu sagen, dass sie sich seit geraumer Zeit neben der Spur befindet, sich eher so mittelgut bis schlecht verhält und sie nicht den Anschein macht, sich bessern zu wollen… Das nagt vor allem dann an einem, wenn man weiß, dass eine Trennung unmöglich ist und schließlich gehören ja auch die schlechten Zeiten zum Fandasein dazu. Das ist allerdings kein Alibi für Spieler, Trainerstab etc. sich so desolat zu präsentieren. Ich neige selbst oft dazu, vor einer Saison alles schönzureden. „Arni kommt dieses Jahr wirklich…“ „Dieses Jahr spielen wir sicher um Europa…“ „Werder kann nicht absteigen…“ „Die Spieler haben viel zu viel Potential um nochmal so ein schlechtes Jahr zu spielen…“ Nichts als Phrasen und grenzenloser Optimismus, wenn es eben um den eigenen Club geht. Objektivität fällt da schwer und sieht, wenn man ehrlich ist, anders aus.

Dieses Mal muss ich es aber ein wenig objektiver probieren, wenn es darum geht, mit welcher Gefühlslage ich in die neue Saison gehe. Viel zu lange habe ich zu viel Gutes gesehen – wahrscheinlich als einer von Wenigen. Doch die Dauer schlechter Leistungen, des Nichtabrufen vorhandenen „Talents“, die Hilflosigkeit auf dem Platz darf einem hier nicht gänzlich entgehen – so sehr man an diesem Verein hängt. Es geht nicht darum, den Club gerade in alle seine Einzelteile zerlegen zu wollen, sondern vielmehr darum, die Augen nicht länger vor der Realität an der Weser zu verschließen. Und in der Realität muss zumindest angezweifelt werden, dass Werder diese Saison mehr als „graue Maus“ oder „Abstiegskampf“ ist. Und glaubt mir: Ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich mit dieser Einschätzung aber mal sowas von Unrecht habe!

Es ist das erste Jahr nach Thomas Schaaf, wozu schon viel gesagt wurde, weshalb ich mich zu der Personalie auch nicht weiter äußern werde. Klar, dass dem Nachfolger ein schwieriges Jahr blüht. Ich würde mich davor hüten, Robin Dutt von vornherein das Vertrauen abzusprechen. Fakt ist aber, dass, aus der Distanz betrachtet, folgendes bei mir hängen geblieben ist: EIN gutes Jahr in Freiburg, unrühmlicher Umgang mit Michael Ballack, mäßiger Erfolg bzw. eher Misserfolg mit recht gutem Spielermaterial in Leverkusen und Abbruch einer Aufgabe beim DFB, die er im Vorfeld voller Elan angetreten hat. Ich werde ihm dennoch Zeit geben, da das nur Eindrücke aus der Distanz waren und ich seine Arbeitsweisen erst seit seinem Amtsantritt bei Werder näher verfolge. Ich sehe ihn aber nach wie vor mit kritischen Augen und würde mich gerne eines Besseren belehren lassen, da er an der Seitenlinie zumindest einen ruhigen, abgeklärten und vor allem sympathischen Eindruck hinterlässt. Ein Typ, der charakterlich zu Werder passen könnte, sofern er auch ordentliche Arbeit abliefert. Aber es ist müßig jetzt schon darüber zu spekulieren, ob er der Richtige ist/war oder eben nicht.

Eine weitere tragende Personalie an der Weser ist Thomas Eichin. Ein Mann, der das Geschäft Fußball kennt, da er selbst einige Jahre als Profi aktiv war. Ich traue ihm also schon zu, eine gewisse Fachkompetenz zu haben, die hier erforderlich ist, auch wenn mir klar ist, dass er von vielen Seiten sehr genau begutachtet wird. Liegt auch daran, dass er auf der operativen Seite bisher nur im Eishockey Erfahrung gesammelt hat – dort aber mit beträchtlichem Erfolg. Es ist schade, dass er Werder mehr oder weniger als Trümmerhaufen übernehmen musste und auch immer noch die Unordnung beseitigen muss, die sein Vorgänger, Klaus Allofs, hinterlassen hat. Man darf nie vergessen, dass Allofs einige Topspieler nach Bremen lotsen konnte und auch aus bescheidenen Mitteln oft eine schlagkräftige Truppe basteln konnte. Das liegt allerdings einige Jahre zurück. Zuletzt war das Bild, das er an der Weser abgab, eher von Panikkäufen, absoluten Fehleinkäufen und Plan- und Ratlosigkeit gekennzeichnet. Eichin steht nun somit vor einer Mammutaufgabe: Kader ausmisten und mit wenig Mitteln eine Truppe mit Bundesligaformat auf die Beine zu stellen, die mittelfristig wieder um Europa spielen kann. Das ist der Anspruch an der Weser und kleiner darf er für einen Verein wie Werder auch gar nicht sein! Caldirola, die feste Verpflichtung von Petersen und Makiadi heißen bisher die neuen Namen, die alle unterschiedlich betrachtet würden müssen. Sokratis, de Bruyne, der nur geliehen war und Avdic die Abgänge.

Merkt ihr was? Bis auf die Kaderleiche Avdic, die in Bremen aber auch nie eine echte Chance bekam, haben uns die absoluten Leistungsträger der letzten Saison verlassen. Beide haben fast durchgehend überzeugt und durch den Abgang von Sokratis ist in Bremen einfach gesagt auch das letzte richtige Kampfschwein weg. Aber das war nicht seine einzige Qualität. Ich habe an der Weser selten einen so jungen Innenverteidiger gesehen, der so clever, taktisch so aufnahmefähig, so aufopferungsvoll agierend und mit so einer Routine spielt, als wäre er bereits seit einigen Jahren ein IV auf höchstem europäischen Niveau. Ersetzt wurde er im Prinzip nicht wirklich durch Caldirola, denn Caldirola ist zwar der Neue, aber den Posten als Abwehrchef hat laut Dutt Sebastian Prödl inne. Der Österreicher kam an der Weser die letzten Jahre zwar häufig zum Zug, hat aber selten gezeigt, dass er das Format besitzt, ein Führungsspieler für einen Europaleague-Aspiranten zu sein. Und Caldirola wird wohl sein Nebenmann. Im Pokal offenbarte er vor allem Geschwindigkeitsdefizite und wirkte auch sonst nicht immer so sicher. Da bin ich allerdings mit einer endgültigen Einschätzung noch vorsichtig, da ich bis auf die U21-EM und einige Serie B-Spiele noch nicht so viel von ihm gesehen habe. Es ist sein erstes Jahr im Ausland, er hat eine gute taktische Grundausbildung genossen und er wird erstmals in der höchsten Spielklasse einer europäischen Topliga agieren – da kann viel passieren. Ich erinnere mich dabei gerne an Naldos erstes Jahr in Bremen. Da war auch schon von Fehleinkauf die Rede. Ich muss aber zugeben, dass mir derzeit mit dieser Innenverteidigung angst und bange ist, da ich schon gerne zumindest einen gestandenen Spieler auf dieser Position gesehen hätte. Auf den AV-Poitionen hat sich qualitativ nicht viel verändert. Mit Fritz, Gebre Selassie, Schmitz und Hartherz mögen wir da vielleicht besser besetzt sein als die Aufsteiger oder wenig andere Bundesligisten, aber das reicht nicht für viel mehr – zumal gerade Fritz kaum mehr an die Leistungen seiner Anfangszeit in Bremen anknüpfen kann. Hier könnte aber vielleicht Diego Contento etwas Abhilfe schaffen. Ein Transfer, der zumindest nicht ganz unrealistisch scheint und meiner Meinung nach einen deutlichen Qualitätsschub auf den Außenpositionen bringen würde. Dazu ist auch folgendes zu sagen: In Foren las ich zuletzt so viele Kommentare, die an Contento zweifeln oder ihm gar völlig das fußballerische Talent abgesprochen haben. So etwas ist gerade in der jetzigen Bremer Situation absolut anmaßend! Ein Spieler, der von Heynckes zwar nur selten das Vertrauen bekam, aber der absolut erste Ersatzmann für Alaba – für mich ein Spieler auf dem Weg zur Weltklasse – war und in absolut wichtigen Spielen oft auch ansprechende Leistungen zeigte, soll Werder nicht verstärken? Alles klar, dann habe ich das Spiel Fußball wohl nicht so ganz verstanden… Aber Meinungen dürfen ja bekanntlich auseinander gehen.

Dann wäre da noch der Torwart. Ich hoffe, dass einige nicht nur eine Momentaufnahme des Pokalspiels bei ihren Einschätzungen zu Grunde legen. Es ist richtig, wenn man sagt, dass Werder nur von Mielitz gegen Saarbrücken im Spiel gehalten wurde, es ist aber auch richtig, dass er beim ersten Gegentreffer nur halbherzig aus dem Kasten kam und eine mehr als bescheidene erste Saison gespielt hat. Jeder hat mal dieses eine Spiel, wo er über seine Grenzen hinauskommt, aber die Kunst ist es, dauerhaft alles abzurufen, was in einem steckt. Und genau da liegt jetzt genau der Punkt, der mir Sorgen bereitet: Ich zweifle nicht an der Einstellung von Sebastian Mielitz und auch nicht daran, dass er jedes Spiel 100 Prozent gibt. Das Schlimme ist, dass ich daran zweifle, ob 100 Prozent bei ihm ausreichen, um ein guter Bundesliga-Torhüter zu werden. Na klar ist es sein erstes Jahr gewesen und er ist auch noch jung, aber wenn man sich mal umschaut, wie jung deutsche Torhüter-Talente heutzutage sind, kann das doch keine Begründung dafür sein, dass er Werder alles andere als Sicherheit gegeben haben dürfte. Hinzu kommt, dass er das Umfeld als Jugendspieler im Verein und die Mitspieler schon lange kannte. Ter Steegen, Leno, Zieler, Baumann etc. haben doch gezeigt, dass es nicht so viel an Erfahrung braucht, wenn man über eine bestimmte Qualität verfügt. Und die sehe ich zumindest bei Mielitz noch nicht.

Das Mittelfeld: Eine erschreckende Erkenntnis aus dem Saarbrücken-Spiel und auch aus vielen Spielen der Vorbereitung war die Kreativlosigkeit. Werder schafft es derzeit nicht, bei eigenem Ballbesitz für Überraschungsmomente zu sorgen und richtige Torchancen zu kreieren. Das bereitet mir große Sorgen. Makiadi ist sicherlich ein guter Schachzug gewesen um die Defensive zu verstärken, aber nach vorne hapert es gewaltig. Früher gab es die individuellen Qualitäten von Özil oder Diego oder eben einen spielstarken Stürmer wie Pizarro, der sich fallen lassen konnte und aus dem Nichts ein Tor machen konnte. Das gibt es in der Qualität aber derzeit nicht an der Weser. Hunt ist ein solider Bundesligaspieler. Vor einigen Jahren hielt ich ihn für ein großartiges Talent. Die Realität: Hunt hat immer noch viel fußballerisches Talent, aber er ist nun mal nur ein solider Bundesligaspieler geworden, der vor allem an der Seite von starken Nebenleuten glänzen kann. Er ist aber nicht der Antreiber und Spielgestalter, der Werder als tragende Figur zurück in die Spur bringen kann. Dazu haftet seinem Spiel ein viel zu großes Phlegma an und dazu taucht er einfach viel zu oft ab. Lieber Aaron, mein Appell an dich: Überdenke deine Einstellung doch noch ein wenig, denn du kannst so viel mehr, als du zeigst! In dieser Form wird man dich aber vollkommen zu Recht nie als unumstrittenen Spielgestalter im Team sehen! Arnautovic, Elia, Ekici, Junuzovic etc. klingt zunächst auch sehr verheißungsvoll, aber da kam bisher bis auf Juno noch nichts Beständiges. Talent? Zweifelsohne! Aber was bringt es, wenn es quasi nie abgerufen wird? Werder braucht vor allem offensiv gedacht einen echten Strategen. Jemanden, der Spiele lenken kann und eben auch mal etwas Überraschendes macht. So wie jetzt, ist man doch sehr berechenbar und harmlos. Vielleicht wird auch hier noch nachgebessert, was aber wohl auch mit einem möglichen Verkauf von Arnautovic zusammenhängen könnte. Der Junge hat so viel Qualität und ist neben Elia derzeit der einzige, dem ich zutraue, Außergewöhnliches zu leisten. Beide Spieler sollte sich Werder aber vor allem aufgrund der schlechten Erfahrungen nicht mehr leisten. Qualitativ wäre es zunächst ein Rückschritt, einen dieser beiden zu verlieren, aber der Homogenität der Mannschaft könnte es zu Gute kommen. Vielleicht ja auch der Leistung? Alles reine Spekulation.

Dann hätten wir da den Angriff. Petersen zu kaufen war vollkommen richtig, allerdings sind meine Hoffnungen immer noch da, dass hier weiter nachgebessert wird. Werder musste Petersen kaufen, da man sonst ohne Stürmer mit Bundesligaformat dastehen würde. Und das hat Petersen zweifelsohne, genauso wie eine Menge Luft nach oben. Er hat für das erste Jahr schon gute statistische Werte gehabt. Im Moment reicht es mir aber noch nicht für einen Stürmer Nummer Eins. Technisch erscheint er oft limitiert, die Chancenauswertung ist verbesserungswürdig und das Einbeziehen ins Spiel fällt mit Petersen oft schwer. Akpala kann man da bisher noch gar nicht vernünftig einschätzen und Lücke oder Wurtz wären ein zu großes Risiko, wobei Lücke hoffentlich häufiger mal die Möglichkeiten in vorderster Front bekommen wird, da ich von seinen Fähigkeiten nach wie vor überzeugt bin. Ein echter Knipser wäre aber bitter nötig. Wie gesagt, es ist noch etwas Zeit, bis das Transferfenster geschlossen wird und ich hoffe, dass sich am Kader noch etwas tun wird. Vielmehr hoffe ich aber, dass das Team es schnell versteht die Anforderungen des Trainers umzusetzen und somit zumindest das Optimum aus dem Spielermaterial herauszuholen.

Und dann wäre da noch der Kopf des Fisches… Vielleicht täte es gut, auch da mal ein wenig umzustrukturieren. Namentlich fast selbstredend, wer da gemeint sein dürfte… Auch das nach wie vor vorhandene geringe Vertrauen in die jüngeren Talente ist sehr schade, aber vielleicht drängen da doch noch einige Spieler ins Team. Wie dem auch sei, die fetten Jahre sind nicht erst jetzt vorbei, aber die Hoffnung besteht, dass vielleicht auch mal mit schlechten Vorzeichen und limitierteren Spielern ein überraschendes Saisonergebnis gelingen kann. Bei einem Fan stirbt die Hoffnung eben bekanntlich doch zuletzt.

Giuseppe Cotrufo

Der vierte Teil unserer Dokumentation „HAUPTSACHE FUSSBALL – JUNGE PROFIS AUF DEM WEG INS SPIEL“ per YouTube-Stream: